"Niemandem ist geholfen, wenn ein Mitarbeiter ausbrennt"

| Redaktion 
| 22.10.2023

Alexander Petsche, Managing Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG, spricht im LEADERSNET-Interview über einen modernen Führungsstil, individuelle Bedürfnisse von Angestellten und wieso "Mental Health" ein so wichtiger Faktor ist.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Petsche, wenn man an eine Karriere in einer Rechtsanwaltskanzlei denkt, kommen einem Klischees wie horrende Überstunden in den Kopf. Nun haben Sie jedoch den Mental Health Award gewonnen. Wie passt das zusammen?

Alexander Petsche: Ich glaube, das Klischee ist mittlerweile tatsächlich nur ein Klischee. Als ich noch Konzipient war, begannen wir um neun Uhr und nahmen die letzte U-Bahn nach Hause – von Montag bis Freitag. Samstags hatten wir frei, und sonntags haben wir in Ruhe das aufgearbeitet, was während der Woche liegen geblieben ist. Als wir den Mental Health Award gewonnen haben, haben wir diese Auszeichnung in der Kanzlei gefeiert. Ich habe mich vor die Mannschaft gestellt und klargemacht: "Ich bin kein Role-Model." Diese Arbeitsweise war vielleicht damals üblich, aber ist heute nicht mehr zeitgemäß.

LEADERSNET: Hat sich die Arbeitsweise in der gesamten Branche verändert, oder ist Ihre Kanzlei ein Sonderfall?

Petsche: Wir haben den Spagat zwischen High-Performance-Kanzlei und guter Mental Health geschafft. Das mag widersprüchlich klingen, ist es aber nicht. Ich bin davon überzeugt, dass man Höchstleistungen nur dann nachhaltig und dauerhaft erbringen kann, wenn man körperlich und geistig fit ist. Während meiner Ansprache habe ich daher gesagt: "Bitte achtet auf euch."

LEADERSNET: Was haben Sie damit gemeint?

Petsche: Stellen Sie sich Rennpferde vor, die in den Boxen stehen. Wenn das Gitter hochgeht, rennen alle mit voller Kraft los. Die Rennpferde können jedoch nur die beste Leistung erzielen, wenn sie vor und nach den Rennen gut gepflegt und ernährt werden und Pausen machen. Bei uns verhält es sich nicht anders. Da kann es schon mal sein, dass "das Gitter hochgeht" und wir top-performen, weil uns das einfach Spaß macht und es uns erfüllt. Das ist wie im Leistungssport. Aber genauso müssen wir auch Pausen machen und auf uns achten. Sonst brennt man aus. Es ist mir ein Anliegen, dass unsere Kanzlei nicht nur dafür steht, Mandanten erstklassig zu behandeln, sondern auch die Mitarbeiter:innen. Daher investieren wir in unsere Mitarbeiter:innen, damit sie sich bei uns wohlfühlen.

LEADERSNET: Was bieten Sie Ihren Mitarbeitern, um eine gute Work-Life-Balance zu fördern und sie mental fit zu halten?

Petsche: Neben einer offenen Feedback-Kultur bieten wir allen Mitarbeitern flexibles Arbeiten. Zusätzlich können alle unser BakerFIT-Sportprogramm wie z.B. Yoga, Pilates, Boxen und Spinning kostenlos nutzen. Zudem fördern wir besonders, dass jeder seine Meinung sagen darf. Niemand soll sich fragen müssen: "Darf ich das? Trete ich wem auf den Schlips?" Das nenne ich "clean mind". Wenn man sich nicht sorgen muss, ob etwas angebracht ist, oder nicht, kann man sich viel besser auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren. Wenn jemand bei mir anfängt zu arbeiten, sage ich gerne: "Bitte glauben Sie zu keinem Zeitpunkt, dass das, was ich sage, immer richtig ist. Fordern Sie mich heraus. Natürlich habe ich Ideen, aber die können ja auch falsch sein. Wenn das so ist: Sagen Sie mir das." Wir möchten so unseren Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld bieten, in dem "psychological safety" herrscht. Ein Arbeitsumfeld, wo man ständig dazulernt, ist die Grundvoraussetzung für "high performing teams".

LEADERSNET: Die sogenannte "Generation Z" kommt langsam, aber sicher auf den Arbeitsmarkt. Haben Sie das Gefühl, dass die angesprochenen Punkte, wie "clean mind" und flache Hierarchien, für diese Generation wichtiger sind?

Petsche:Hierarchie ist ein schwieriges Wort. Es klingt nach künstlicher Struktur mit künstlichen Abhängigkeiten. Ich glaube, dass es in einer Kanzlei oder einer modernen Organisation unterschiedliche Rollen gibt, und jede und jeder muss seine Rolle bestmöglich wahrnehmen. Das beginnt beim Empfang über die Rechtsanwaltsanwärter, bis zu mir. Wir haben alle unsere Rollen zu erfüllen. Wenn etwa der Empfang unfreundlich ist, dann wird man dem Empfang ein Feedback geben. Wenn ich als Seniorpartner meine Akquisitions- und Führungsverantwortung nicht wahrnehme, wird man zu Recht sagen: "Wozu haben wir dich überhaupt?"

LEADERSNET: Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Inclusive Leadership"?

Petsche: Inclusive Leadership bedeutet für mich, Respekt und Fairness bei unseren täglichen Entscheidungen über Arbeitsverteilung, Promotions und Karriereentwicklung an erste Stelle zu stellen. Die Kollegen nach ihren Wochenenden zu fragen und für uns selbst und unsere Teams eine Kultur des Respekts, der Integration und der psychologischen Sicherheit im gesamten Büro für alle zu gewährleisten. Gewährleisten, dass sich unsere Mitarbeiter sicher, unterstützt und einbezogen fühlen. Unsere Reputation hängt von der Art und Weise, wie wir unsere Führungsrolle wahrnehmen ab. Wir müssen unsere Mitarbeiter:innen kennen, um sie zu verstehen, denn Empathie führt zu Teamwork und Zusammenarbeit.

Baker Mckenzie Inclusion, Diversity & Equity Komitee © BakerMckenzie

LEADERSNET: Es gibt gegenwärtig keine Branche, die nicht vom Arbeitskräftemangel betroffen ist. Haben Sie spezielle Ansätze, um dem vorzubeugen oder Mitarbeiter zu halten?

Petsche: Wir haben verschiedene Programme, aber ich denke, dass unser Mental Health-Programm und unser Fokus auf Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung hervorstechen. Diese Punkte promoten wir auch sehr stark auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig haben wir auch Programme, wo wir sehr frühzeitig an Talente herantreten, etwa unser Class of Excellence Programm. Hier kooperieren wir mit den Universitäten. Wir begleiten Studierende bereits während des Studiums und bieten neben fachlichen und sozialen Trainings, Praktikumsmöglichkeiten sowie einen Mentor und einen Excellence Buddy. Der Mentor (Partner oder Counsel) unterstützt bei Fragen zur Karrierentwicklung, und der/die Excellence Buddy steht den Mentees für alle Fragen rund um Baker McKenzie und den Berufseinstieg zur Verfügung. Dieses Programm ist ein Gewinn für beide Seiten, die Studierenden erhalten bereits früh Einblicke in die Welt einer internationalen Großkanzlei, und wir lernen junge Talente bereits vor dem Berufseinstieg kennen.

LEADERSNET: Sie haben im Vorfeld erwähnt, dass Sie versuchen, sehr individuell auf die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter einzugehen. Wie kann man sich das vorstellen?

Petsche: Um gut ausgebildete Mitarbeiter:innen nicht zu verlieren, ist es wichtig, diese auch zu kennen. Denn nur dann können wir auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen. Mein Lieblingsbeispiel ist einer meiner besten Mitarbeiter. Der Job hat ihm damals wahnsinnig viel Spaß gemacht, und er war enorm engagiert. Eines Tages kam er aber zu mir und sagte: "Ich muss leider kündigen." Ich war erstaunt und habe gefragt, warum er das müsse. Er hat gesagt: "Ich habe Freunde, studiere Mathematik und möchte mein Privatleben pflegen. Das geht sich nur aus, wenn ich um 18 Uhr gehe, und das ist bei meinem Arbeitspensum nicht möglich." Meine Antwort war: "Und deshalb wollen Sie kündigen? Sie gehen ab jetzt jeden Tag einfach um 18 Uhr."

LEADERSNET: Funktioniert das wirklich so einfach?

Petsche: Natürlich. Jeder hat seine eigene Arbeitsweise, die sich von der anderer Kollegen unterscheidet, und auf die muss man eingehen – dazu muss man aber wissen, wie jemand tickt, was seine Bedürfnisse sind. Das musste ich selbst erst lernen. Ich habe mich etwa jahrelang geärgert, wenn meine Sekretärin nicht um Punkt 9 Uhr vor Ort war. Und heute ist es so, dass ich sie beim Verabschieden frage, ob wir uns morgen sehen - denn sie könnte ja im Home Office sein. Heute besprechen wir das einfach immer am Tag davor, weil ob sie jetzt vor Ort ist oder nicht, spielt keine Rolle. Wenn wir uns zwei, drei Wochen nicht sehen, dann machen wir uns extra einen Termin aus, um uns einmal in der Kanzlei zu treffen. Gleichzeitig gibt es Mitarbeiter:innen, die morgens viel produktiver sind als abends – und umgekehrt. Man muss nur wissen, wie Menschen ticken, um den Bedürfnissen nachkommen und sie erfolgreich führen zu können. Glückliche Mitarbeiter:innen bringen in der Regel bessere Leistungen und das nachhaltig. Manchmal muss man die Menschen aber auch zu ihrem Glück zwingen.

LEADERSNET: Wie meinen Sie das?

Petsche: Ich mache Ihnen ein Beispiel zu einem wirklich sehr guten Mitarbeiter: Er hat sich frei genommen und ist von Donnerstag bis Sonntag nach Berlin gefahren. Am Mittwoch meinte er dann auf einmal: "Wenn Sie mich brauchen sollten, bin ich natürlich telefonisch erreichbar", woraufhin ich sagte: "Ich verbiete, dass Sie in Ihrem Urlaub ans Telefon gehen, wenn ich anrufen sollte." Natürlich kann es Situationen geben, in denen das nicht möglich ist. Wenn das so ist, reden wir darüber. Aber wieso sollte man künstlich Stress erzeugen, wo es nicht notwendig ist?

LEADERSNET: Sie veranstalten am 24. Oktober 2023 den ersten Baker McKenzie Inclusion, Diversity und Equity Day. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Petsche: Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung sind für uns als globale Kanzlei extrem wichtig. Diese Punkte machen uns zu besseren Arbeitgebern. Wir können hier ein Zeichen setzen und eine Vorbildrolle für andere Unternehmen einnehmen. Heutzutage verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatzeit zunehmend. Und wenn die Grenzen ständig verschwimmen, dann müssen wir aufpassen, dass wir uns wechselseitig schützen. Dies gilt auch für die Mitarbeiter:innen, denn das birgt die Gefahr, dass eine Seite die Überhand gewinnt. Auch deswegen ist der Aspekt der mentalen Gesundheit so wichtig. Niemand sollte ausbrennen, damit ist absolut niemandem geholfen. Das gilt gerade bei unserer Frau- und Mannschaft, die täglich auf hohem Niveau Spitzenleistung erbringt.

LEADERSNET: Was erwartet die Besucher am Inclusion, Diversity und Equity Day?

Petsche: Zuerst diskutieren CEOs, wie das Thema generell auf der obersten Führungsebene verankert ist. Wenn man sich ansieht, wie hochkarätig dieses Panel besetzt sein wird, etwa die CEO der Austrian Airlines und die Geschäftsführerin der Strabag oder der CEO der A1, dann merkt man, dass die Wichtigkeit dieser Thematik erkannt wurde. Bei dieser Diskussion werden wir die Grundpfeiler einschlagen: Was bedeutet ID&E eigentlich, und wie geht man damit um? Dann brechen wir das Thema herunter und beleuchten im folgenden Panel arbeitsrechtliche Aspekte: Wie setzt man ID&E in der Praxis um? Was bedeutet das im Arbeitsalltag? Wie gestalte ich so etwas? Wie führe ich so ein Team? Was mache ich mit den Neueinsteigern? Was ist, wenn jemand neu an Bord kommt? Das dritte und letzte Panel teilt Einblicke zum Thema "von Absichten zu Taten". Hier diskutiert die Managementebene, wie ID&E in ihren Unternehmen umgesetzt wird. Ich freue mich bereits sehr auf den Austausch!

www.bakermckenzie.com

Über das Baker McKenzie

2003 eröffnete der internationale Konzern sein Büro in Wien. Mittlerweile hat man 8 Partner, 11 Counsel und 36 Associates.

Als eine der führenden Anwaltskanzleien in Österreich bietet man nationale und grenzüberschreitende Beratung in den Bereichen Bankenrecht und Finanzierungen, Streitbeilegung, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht/M&A, Immobilienrecht und Steuerrecht. Unabhängig von der jeweiligen geschäftlichen oder rechtlichen Herausforderung entwickelt das Unternehmen maßgeschneiderte Strategien für Klient:innen.

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Eine ehemalige Mitarbeiterin
Ich habe als Konzipientin für DDr. Petsche gearbeitet - ich erzähle heute, viele Jahre später, regelmäßig KollegInnen, Freunden, sonstigen Gesprächspartnern, namentlich oder ohne Namensnennung, dass er der beste Chef und meiner Meinung nach auch Mentor war, den eine Berufsanfängerin haben kann.

Er hat verdammt viel richtig gemacht, vieles, was jetzt erkennbar gefestigt und ausgetestet im Sinn einer Führungsphilosophie ist, konnte man damals schon merken; das Nachhaltige, auf Menschen eingehen und aus ihnen das Beste herausholen, aber auch das Vermitteln "gesund bleiben", bei allem Leistungsdruck in der Branche. Ich sage immer noch - ganz am Anfang als Konzipientin habe ich mich von Herrn Petsche mehr "gesehen", individuell gefördert und wertgeschätzt gewusst, als später jemals in anderen Anwaltskanzleien.

Schön, dass das ein bewusster und stimmiger Weg der Mitarbeiterführung geworden ist! Da gehört viel Vision und auch Mut dazu, gerade in einer Branche, die das wahrscheinlich langsamer lernt als andere. Chapeau!

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