How bold are you?

| Redaktion 
| 03.09.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Im Zuge meiner Teilnahme am Europäischen Forum Alpbach vergangene Woche, das unter dem Motto Bold Europe stattfand, drängte sich mir die Frage auf: Was soll das überhaupt bedeuten – Bold? Aus dem Englischen übersetzt bedeutet es etwa "mutig", "verwegen", "dreist" oder "kühn". Das Wort ist in aller Munde, Popstars, Unternehmer:innen und Jugendliche verwenden es. Superhelden und Chuck Norris sind bold, aber was soll es in Bezug auf eine Staatengemeinschaft bedeuten? Zur wenig vorhandenen "boldness" der Veranstaltung selbst werde ich zum Schluss noch ein paar Worte verlieren, aber nun erst mal zurück zur Analyse.

Was bedeutet es "bold" zu sein?

Warum der Ruf nach einem mutigen Europa, nach mehr "boldness"? Ich meine, den Hintergrund darin zu entdecken, dass wir in fast allen Bereichen unseres politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und militärischen Lebens in einer Vielzahl unterschiedlich gearteter Krisen gefangen sind, die wir vermeintlich nicht mehr mit den herkömmlichen Mitteln und Konzepten lösen können. Und in vielen Bereichen trifft dies meines Erachtens auch zu, etwa im gesamten Bereich der Pensionen oder der Sozialversicherung.

Was bedeutet es nun aber, kühn oder verwegen zu sein? Vielleicht ist es in einem ersten Schritt einfacher zu erklären, was es nicht ist. Es bedeutet nicht, einfach jedes Risiko einzugehen, aus der Überzeugung heraus, ohnehin nichts mehr zu verlieren zu haben. Es bedeutet auch nicht, sich nicht fürchten zu müssen, oder immer der oder die Lauteste zu sein und ebenso wenig, immer den Führungsanspruch zu stellen.

Bold zu sein mag implizieren, auch unkonventionelle Überlegungen anzustellen, doch ist genau das der Knackpunkt: überlegen, also mit Bedacht! Ein gutes Beispiel dafür ist aus meiner Sicht das Vorbereiten, Planen, Denken und Handeln militärischer Eliteeinheiten. Es bedarf natürlich einer hervorragenden Situationsanalyse, wobei klar ist, dass es eine restlose Analyse nicht geben kann und wird – die letzten 5 Prozent zu wissen "kostet" mehr als der eigentliche Erfolg, den sie bringen können. Trainieren und Planen sind weitere wichtige Komponenten, doch auch hier gilt: Es gibt keinen Plan, der nicht im Zuge seiner Durchführung eine Änderung erleben kann. Das Handeln erfolgt nach einer vernünftigen Risikoabwägung – wobei es eine hundertprozentige Sicherheit nicht gibt –, und man muss das große Ganze überblicken, über den Tellerrand hinausschauen und bereit sein, zeitweise Rückschläge oder Verluste hinzunehmen. Das ist mein Verständnis von bold.

Boldness wird also mehr als gefragt sein

Daran fehlt es jedoch leider gewaltig, vor allem in der Politik. Keine der Parteien in Deutschland oder Österreich geht die wahren Probleme an. Keiner traut sich, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen, wie etwa, dass wir in Zukunft nicht drumherum kommen werden, Abstriche in unserem Leben zu machen, und zwar alle. Wir werden nicht mehr aus den vollen Ressourcen schöpfen können. Wir werden mehr arbeiten, mehr für unsere Sicherheit unternehmen müssen. Es wird Unternehmer:innen und Bürger:innen gleichermaßen treffen, diesbezügliche Entscheidungen auch mitzutragen. Soweit die eher trüben Aussichten – Boldness wird also mehr als gefragt sein.

Abschließend möchte ich, wie eingangs erwähnt, noch auf das Europäische Forum Alpbach selbst eingehen. Von einer Veranstaltung mit diesem Titel hätte ich als Teilnehmer von der Organisation erwartet, dass man seiner Klientel auch einen gewissen Grad an boldness zutraut. Doch das Gegenteil ist der Fall, Thema und Umsetzung sind nicht stimmig, und die vorherrschenden starren Vorgaben und Strukturen – Stichwörter unter anderem Ticketing und Zimmer-Lotterie – frustrieren das Publikum zunehmend. Die Hoffnung in die neue Führungsriege wurde bisher enttäuscht, es bleibt die Hoffnung, dass diese so wichtige Veranstaltung und Platz des Austausches über die großen Themen unserer Zukunft sich bald wirklich bold weiterentwickelt. Doch wer glaubt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, irrt. Chuck Norris stirbt nach der Hoffnung.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns mehr wagen, trauen wir uns aber auch anderen mehr zu. Handeln wir überlegt, aber nicht ängstlich und lassen wir uns vor allem von festgefahrenen Strukturen nicht bremsen, sondern verwenden wir unseren Mut darauf, sie zum Besseren zu ändern.

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