Don Quijotes demokratiepolitisches Desaster oder: ein grotesker Wahlsonntag

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Am 9 Oktober habe ich zwei Wahlen verfolgt. Die Landtagswahl in Niedersachsen, einem der größten und somit politisch und wirtschaftlich bedeutenden Bundesländer Deutschlands, und die Bundespräsidentenwahl in Österreich. Selbst durfte ich in Österreich ja nicht wählen, aber erlauben Sie mir trotzdem einige Anmerkungen.

Es war keine Überraschung, auch kein politisches Erdbeben, sondern der Abschluss eines grotesken Wahlkampfes, der an Absurditäten nicht zu übertreffen ist. Sieben Kandidaten, so viele wie noch nie, ritterten um den Einzug in die Hofburg. Für den Großteil von ihnen durchaus ein kühnes Abenteuer, das von einer maßlosen Selbstüberschätzung gekennzeichnet war. Drei Kandidaten wollten die Bundesregierung entlassen, einer hat einen Wahlkampfleiter frei erfunden und sich irgendeinen Fantasienamen ausgedacht, an den er sich jedoch nicht mehr erinnern kann. Der andere ist ein studierter Rockmusiker, der einer Partei vorsteht, deren Namen man schon nicht ernst nehmen kann. Und zu dieser seltsamen Runde gesellte sich ein Unternehmer, der behauptete, hinter der MeToo-Bewegung stecke die CIA.

Amüsant? Durchaus, wenn einem nicht das Lachen im Hals stecken bleiben würde.
Denn was unter dem Strich übrigbleibt, ist ein demokratiepolitisches Desaster.

Bedenklich und beschämend

Wenn Figuren zur Wahl stehen, die mehr Ähnlichkeit mit Don Quijote als mit einem Staatsmann aufweisen, ist das bedenklich. Sie wissen schon: Der "Ritter von der traurigen Gestalt", der zwischen Traum und Realität nicht unterscheiden kann und mit vollem Enthusiasmus gegen Windmühlen kämpft.

Die Don Quijotes der Hofburg haben das Ansehen des Amtes nachhaltig geschädigt. Bei Bundespräsidenten-Wahlen wird es immer wieder Menschen geben, die sich in den Wahlkampf verirren und vor Selbstinszenierung strotzen. So wie Richard Lugner vor fünf Jahren. Aber neben Lugner standen Alexander Van der Bellen, Irmgard Griss, Norbert Hofer, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol zur Wahl.

Dass bei diesem Wahlgang die SPÖ und die ÖVP auf eine eigene Kandidatin, einen eigenen Kandidaten verzichtet haben, ist unverständlich und auch beschämend. Das war auch ein großer strategischer Fehler.

Was die Aufstellung bzw. die Auswahl der Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl realpolitisch bedeutet hat, kann man prägnant zusammenfassen – nämlich das geringste Übel zu wählen. Ein Hauptmotiv von vielen Wähler:innen, die einfach keine andere Wahl hatten. Doch sie hatten natürlich noch eine Wahl: nicht zur Wahl zu gehen oder zumindest zur Wahl zu gehen und nicht bzw. ungültig zu wählen.

Wahlrecht braucht mehr Relevanz

Viele argumentieren damit, dass de facto alles beim Alten geblieben sei. Aber ist es das wirklich? Nein! Der bittere Beigeschmack von vermeintlicher Demokratie, von einem Demokratieverständnis, dass viele Wähler:innen dazu gezwungen hat, entweder das geringste Übel oder eben weiß zu wählen, bleibt. Der Glaubwürdigkeitsverlust der Politik wirkt nach und die Politikverdrossenheit, die seit Jahren zunimmt, bekommt wieder enormen Aufwind. Doch die relevante Frage ist nun: Was lernt man daraus? Werden Reformen eingeleitet? Definiert man das Amt des Bundespräsidenten neu? Sollte es nicht zumindest mehr als 6000 Unterstützungsunterschriften brauchen, um Kandidat:in zu werden? Sollte man vielleicht die österreichische Verfassung insgesamt auf ein modernes Niveau bringen? Wird eine Diskussion angestoßen, wer geeignete:r Kandidat:in sei und wer nicht? Oder bleibt eben doch alles beim Alten? Viele Diskussionspunkte sind natürlich heikel. Aber noch heikler wäre es, wenn man nach diesem Wahl-Theater die Augen vor Reformen verschließen und unreflektiert auf demokratischen Irrwegen weiter voranschreiten würde.

Das Wahlrecht ist der Kernpunkt einer Demokratie. Wir müssen es stärken, ihm mehr Relevanz zukommen lassen, sodass dies öffentlich auch so wahrgenommen wird und wir dementsprechend wieder mehr Bürger:innen an die Wahlurnen bringen. Wieder Begeisterung für das Wahlrecht per se zu erzeugen, das nicht in allen Staaten selbstverständlich ist oder dass – wie erst jetzt an den Scheinreferenden in der Ukraine wieder ersichtlich wurde – missbraucht wird, um undemokratischen, totalitären Regimen eine falsche Legitimation zu verleihen.

Ich gebe zu, wenn ich an mein Heimatland denke, ist da momentan auch kein glorreiches Beispiel der Stärkung des Wahlrechtes zu erkennen. . Denke ich allein daran, dass bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland so viele Verletzungen des Wahlrechtes in Berlin erfolgt sind, dass nun angedacht wird, in 300 Wahlbezirken neu wählen zu lassen. Ehrlich jetzt?

Lassen Sie uns deshalb offen, ehrlich und schonungslos die Situation analysieren und Auswege suchen, denn wenn wir dies nicht rechtzeitig tun, wird niemand mehr das Wahlrecht und damit die Demokratie ernst nehmen.

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