"Eine Bühne ist kein Altar"

Alfons Haider gibt am Donnerstag sein Debüt als Intendant in Mörbisch. Im Interview mit LEADERSNET erzählt er, was er für die Seefestspiele in Zukunft geplant hat, was sich Landeshauptmann Doskozil von ihm erwartet, ob er selbst auf der Bühne stehen wird und warum Kultur systemrelevant für die Seelen der Menschen ist.

Am Donnerstag, 8. Juli ist es wieder soweit: Der Startschuss für die diesjährigen Seefestspiele in Mörbisch fällt. Erstmals wurde TV- und Bühnenstar Alfons Haider mit der Intendanz des legendären Festivals betraut. Zur Aufführung kommt keine Operette sondern mit der "West Side Story" eines der bekanntesten und erfolgreichsten Musicals überhaupt.

Im Gespräch mit LEADERSNET erzählt Haider, wie es dazu gekommen ist, heuer ein Musical aufzuführen, wann er erstmals mit dem Bühnen-"Virus" infiziert wurde, was er für die Kulturszene im Burgenland plant und warum die Menschheit die Kultur gerade jetzt mehr denn je braucht.

LEADERSNET: Sie sind Moderator, Entertainer, Sänger und Schauspieler. Seit einigen Monaten sind Sie auch Intendant der Seefestspiele Mörbisch. Hätten Sie jemals geglaubt, dass diese Funktion irgendwann in Ihrem Lebenslauf stehen wird?

Haider: Ich habe auch nie geglaubt, dass ich in Stockerau Intendant (Haider war von 1998 bis 2012 Intendant der Festspiele Stockerau – Anm. d. Red.) werden würde (lacht). Ich glaube, dass das auch eine Frage des Alters ist. Je mehr man lernt, je mehr man erlebt hat, desto mehr ist möglich. Alles ist möglich. Ich hätte auch ich nie geglaubt, dass ich in der "Carnegie Hall" oder dem "Friars Club" in New York auftreten werde. Aber das ist das Schöne an unserem Beruf.

LEADERSNET: Jeder kennt Alfons Haider, aber wann sind Sie draufgekommen, dass die Bretter, die die Welt bedeuten, Ihr Leben sind?

Haider: Ehrlich gesagt schon im Kindergarten. Ich war in einem katholischen Kindergarten in Unter Sankt Veit (Wien Hietzing). Da hab ich mit fünfeinhalb Jahren im Kindergarten meine erste Sendung moderiert und meine erste Rolle gespielt. Wie könnte es anders sein, habe ich den Prinzen im "Dornröschen" gespielt.

LEADERSNET: Das heißt, Sie waren damals schon Generalintendant?

Haider: Nein, noch nicht, aber ich war schon auf dem Weg dorthin (lacht). Das war aber für den Opernball bestimmend. Ich habe einen Zylinder getragen und wenn die Ohren nicht etwas abgestanden wären, wäre er mir ins Gesicht gerutscht (lacht). Ich war fünfeinhalb, als ich meine erste Muttertags-Gala moderiert habe.

LEADERSNET: Ihr erstes Engagement in Mörbisch hatten Sie bereits 1975, ist das richtig?

Haider: Ja, mit 17 Jahren habe ich eine Statistenrolle im "Zigeunerbaron" in Mörbisch ergattert. Einen Tag vor der Premiere hat ein junger Schauspieler, der die furchtbarste Rolle hatte, nämlich vor sechs Pferden in die Ouvertüre hinein zu rennen und zu schreien: "Sie kommen, sie kommen!" Der hat sich dann bei der Generalprobe "dersteßen" und ein Pferd ist auf ihn draufgestiegen, wobei er sich verletzt hat. Der damalige Intendant Herbert Alsen ist dann gekommen und hat gefragt: "Wer ist intelligent von euch Burschen?" Ich habe natürlich sofort aufgezeigt und er hat mir gesagt, dass ich bei der Premiere die Rolle des verunglückten Kollegen übernehmen soll. Das habe ich gemacht und alles ist gut gegangen. Der Alsen ist dann zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass ich das sehr gut gemacht hätte und dass ich im nächsten Jahr eine Drei-Satz-Rolle bekommen werde. Ich habe dann Folgendes wirklich geantwortet: "Bitte seien Sie mir nicht böse, ich will nicht unbescheiden sein, aber wenn ich wiederkomme, dann will ich in der ersten Reihe stehen." Das ist jetzt 44 Jahre her und als ich jetzt wirklich das erste Mal auf der Bühne gestanden bin, habe ich mir gedacht: "Das ist unfassbar, es kann keine Zufälle geben."

Vor neun Jahren habe ich mich schon einmal für die Intendanz in Mörbisch beworben. Da war ich aber zu rigoros und wollte zu schnell modernisieren. Deswegen bin ich es nicht geworden. Ich war aber unter den letzten drei Bewerbern. Letztes Jahr habe ich mich wieder beworben und es hat funktioniert.

LEADERSNET: Die korrekte Bezeichnung Ihrer Funktion lautet Generalintendant der Kulturbetriebe Burgenland. Das klingt so, als wären Sie nicht nur für Mörbisch verantwortlich.

Haider: Das ist auch so. So wird etwa vom 6. bis 16. August auf Schloss Tabor in Jennersdorf die Lehár-Operette "Die lustige Witwe" gespielt. Und in Mörbisch gibt's dazu eben die "West Side Story" von Leonard Bernstein. Da muss ich meinem Kollegen und Vorgänger Peter Edelmann wirklich dankbar sein. Er hatte den Mut, wirklich dieses Musical aufs Programm zu setzen, obwohl Mörbisch das Mekka der Operette ist. Mörbisch und Jennersdorf sind natürlich zwei komplett unterschiedliche Festspielorte. Das hat mich auch so an dieser Tätigkeit interessiert, dass man auf der einen Seite eine Platz hat, wo man für 6.200 Menschen spielt und auf der anderen Seite einen zweiten Ort, wo es "nur" 800 Leute sind. Möglicherweise kommt noch ein dritter Ort dazu. Die Funktion, die ich habe, ist auch mit der Auflage verbunden, vielleicht noch ein drittes, anderes Musiktheater zu installieren. Das ist der Plan der Zukunft und deshalb heißt es auch Generalintendant. Das heißt, dass ich den Geschäftsführern oder Betriebsleitern übergestellt bin als künstlerischer Leiter.

LEADERSNET: Künstlerische Leitung heißt auch, sich um die Positionierung der Zukunft zu kümmern. Bis dato war es in Mörbisch ja immer die Operette ...

Haider: Nicht immer, aber schon sehr oft. Einer der größten Kassenerfolge war beispielsweise das Musical "My Fair Lady" mit Helmuth Lohner auf der Bühne und als Regisseur. Da sind damals knapp an die 200.000 Zuseher herangekommen. Das war die gute alte Zeit unter Harald Serafin. Das gibt es heute ja nicht mehr, aber die Mörbischer Seefestspiele locken noch immer 100.000 Besucher. Auf Schloss Tabor hat mein Vorgänger Dietmar Kerschbaum auf Spielopern und manchmal auch auf Operette gesetzt. Für beide Festspieleorte gilt – das ist auch meine Aufgabe – eine Neupositionierung anzudenken. Natürlich kostet Theater in diesen Sphären heute ein Vermögen. Mörbisch hat eine 3.000 Quadratmeter große Bühne. Es ist nach Bregenz die zweitgrößte Open-Air-Bühne Österreichs und es ist eigentlich die größte Unterhaltungsbühne Europas.

LEADERSNET: Welche Ausrichtung für die Zukunft streben Sie für Mörbisch an?

Haider: Ich habe schon einmal in einem Interview gesagt, dass diese Bühne für viele ein Altar ist. Nein, eine Bühne ist kein Altar. Die Seebühne kann alles. Wir haben heuer am 27. August eine Riesen-Gala, auf die ich mich sehr freue. Es wird ein Dankeschön an sämtliche Helden der Corona-Pandemie – von der Supermarktverkäuferin und der Krankenschwester, über Ärzte, Feuerwehr und Polizei, bis hin zu Altenpflegern und der Rettung. Auf der Bühne findet alles statt, was gut und teuer ist: Oper, Operette, Ballett, Musical und sogar Fußball. Es wird zum ersten Mal ein Fußballmatch auf der Bühne geben, mit richtigen Tor und einem Super-Fußballstar. Wir evaluieren gerade alles, aber wir sehen jetzt schon, dass die "West Side Story" ein absoluter Renner wird. Pandemie-bedingt werden es leider nur 16 Vorstellungen sein. Wir könnten mehr anlegen, aber jede Vorstellung mehr kostet ein Vermögen.

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LEADERSNET-CEO Paul Leitenmüller im Gespräch mit Alfons Haider © LEADERSNET

Es hängen auch viele Arbeitsplätze an so einer Institution. In Mörbisch sind 300 Menschen involviert und in Jennersdorf sind es über 80 Menschen. Das sind Arbeitsplätze, die gesichert werden müssen. Wenn die Vorstellungen stattfinden, dann haben die Menschen was zu tun. Bei uns Künstlern ist es jetzt natürlich schwierig. Ich habe es am eigenen Leib erlebt. Ich hatte Glück, dass ich meine Fernsehshows und ein paar Drehtage im Ausland hatte. Aber ansonsten habe ich über 40 Moderationen verloren. Das war finanziell ein Riesen-Einbruch. Ich kenne Kollegen, die haben sogar ein Jahr überhaupt keinen Job gehabt. Jetzt freuen wir uns, dass wir langsam wieder zurückkommen. Wenn ich merke, dass die Menschen in Mörbisch einen moderneren Weg gehen wollen, dann werden wir einen moderneren Weg einschlagen. Es wird aber nie mit der Keule sein.

LEADERSNET: Wird man Sie selbst auch auf der Bühne sehen?

Haider: Ich habe so viel gespielt und da ist mir Mörbisch viel zu wichtig, als dass ich riskiere, etwas mit Dreck bewerfen zu lassen, nur weil ich selbst irgendwo spielen möchte. Die Eitelkeit hält sich in Grenzen. Der Erfolg der Produktion hat klar die höhere Priorität. Es ist ja auch die erste große Produktion von mir und es wird ein großes internationales Solisten-Ensemble. Deshalb habe ich mir gedacht, dass ich im ersten Jahr definitiv nicht selbst auf einer Bühne stehen werde. Im zweiten Jahr vielleicht: Es kann sein, dass ich nächstes Jahr in einer Ein-Satz-Rolle in einem Stück auftreten werde, das ich schon 400 Mal gespielt habe und das europaweit aufgeführt wird – mehr kann ich dazu aber noch nicht sagen.

LEADERSNET: Wir haben jetzt ein Jahr nur ganz wenig Kultur gehabt. Hat das die Gesellschaft verändert?

Haider: Die Gesellschaft hat sich verändert. Sie ist viel ärmer geworden. Ich habe diesen Ausdruck "systemrelevant" langsam schon satt. Wir sind nicht systemrelevant? Ganz im Gegenteil: Die Kameraleute, die gesamte Technik, alle Mitarbeiter:innen, die Maskenbildner, die Statisten, die Sänger, die Tänzer, die Moderatoren sind systemrelevant. Wir sind systemrelevant für die Seelen der Menschen.

Wir brauchen ja nur schauen, wie man im Internet miteinander umgeht. Auch wie die sich in der Politik – um es auf gut Wienerisch zu sagen – in die Gosch'n hauen ist unfassbar. Ein Kabarettist könnte das nicht erfinden. Ein Grund dafür ist sicher, dass der Austausch zwischen den Menschen nicht mehr stattfindet. Die Kultur ist dazu da, sich auszutauschen. Das ist jetzt ein Jahr brach gelegen. Es wird nicht so sein, dass die Leute die Veranstaltung einfach wieder so stürmen. Ich glaube, es wird einen Aufbau brauchen. Aber es wird alles wieder normal werden. Ich bin ein positiv denkender Mensch und deshalb sage ich immer: "Alles wird gut!"

www.seefestspiele-moerbisch.at

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