Österreichs Schulsystem in der Dauer-Freistunde

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Die COVID-Pandemie nimmt nicht nur größten Einfluss auf unser Privatleben, unsere sozialen Kontakte und unsere Wirtschaft. Der zunehmende Dauer-Lockdown hat nach über einem Jahr im Ausnahmezustand auch immer schwerwiegendere Folgen für unser Bildungssystem und die darin strauchelnden Kinder. Defacto sprechen wir bereits von zwei Schuljahren, in denen nur ein Bruchteil der Lehrpläne vermittelt werden konnte. Immer neue Kombinationen aus Präsenzunterricht und Homeschooling werden umgesetzt – was das für den Kontakt der Lehrenden mit der Schülerschaft bedeutet, wird aber meiner Meinung nach viel zu wenig hinterfragt.

Wir erleben immer mehr Schüler, die für ihre Lehrer gar nicht mehr greifbar sind, die dem Lehrstoff nicht mehr folgen können und damit ein riesengroßes Kompetenzdefizit aufbauen. Das wird sich rächen, wenn die Schulen in den Normalmodus zurückkehren und die jeweils nächsten Lehrpläne beginnen. Es steht zu befürchten, dass es in allen Schulformen und Jahrgängen viele Kinder geben wird, denen nahezu zwei Schuljahre fehlen. Die springen dann also zum Beispiel von der zweiten Unterstufe in die vierten Unterstufe, ohne die dazwischenliegenden Inhalte mitgenommen zu haben.

Entweder wird das zu tausenden wiederholten Schuljahren führen, oder zu einer ganzen Schülergeneration, die entsprechend schlechter qualifiziert auf den Arbeitsmarkt drängen wird. Wir reden hier noch gar nicht von all den entfallenen außerschulischen Angeboten im musischen oder sportlichen Bereich, der Begabtenförderung, den so dringend nötigen Bewegungseinheiten, der Bewusstseinsbildung für gesunde Ernährung, dem sozialen Austausch mit Gleichaltrigen speziell in der Phase der Pubertät, der Erfolgsbestätigung, der persönlichen Wertschätzung.

Völlig unbeachtet bleibt in dieser Analyse auch, wie viel an Lehrkompetenzen stillschweigend und selbstverständlich an die Eltern übertragen wurde. Sie kämpfen also nicht nur mit ihrer eigenen Arbeitsbelastung und den täglichen Pflichten in der Haushaltsführung – sie übernehmen auch noch die Vermittlung des Schulstoffes, die Unterstützung von Kindern, die dem Online-Unterricht nicht folgen können und die Vorbereitung auf einige wenige Leistungsfeststellungen, die oftmals alles entscheidend sind. Was kann man also tun, um vielleicht noch zu retten, was zu retten ist?

Ein klarer technischer und didaktischer Rahmen

Die COVID-Pandemie hat gezeigt, dass es durchaus schon möglich und sinnvoll ist, manche Bestandteile der klassischen Schulsysteme auf die virtuelle Ebene zu verlagern und das altmodische Stunden-Konzept teilweise aufzulösen. Dazu bräuchte es jedoch einen klaren technischen und didaktischen Rahmen. In den Sommerferien 2020 wäre genug Zeit gewesen, um ein funktionierendes, einheitliches Homeschooling-Konzept gemeinsam mit Lehrer-, Schüler- und Elternvertretern zu erarbeiten und auszurollen.

Stattdessen läuft das neue Schuljahr 2021 genauso chaotisch weiter wie 2020. Alle plagen sich durch eine Vielzahl parallellaufender Digital-Plattformen und auf der Strecke bleibt wertvolle Schulzeit liegen, die den Kindern schon bald fehlen wird. Um das zu verhindern hilft es nicht, die Kinder während der Sommerferien einfach zum Nachlernen zu verdonnern. Immerhin könnte der Sommer 2021 nach langem erstmals wieder die Gelegenheit zu kleinen Familienurlauben sein, als dringend notwendiger Tapetenwechsel für uns alle. Statt solchen Schnapsideen muss im kommenden Schuljahr besonders auf die Um- und Aufsteiger Rücksicht genommen werden und versäumte Inhalte müssen mit Rücksicht auf die Zukunft der Kinder aufgeholt werden. Vielleicht schafft man es ja, bis dahin die zum Teil steinalten Lehrpläne zu durchforsten und antiquierte Inhalte zugunsten dieser Aufholung zu streichen.

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Mag.Nina Adlon
Ganz herzlichen Dank,
lieber Ralf-Wolfgang Lothert,
für Ihren so wichtigen Gastkommentar.
Sie sprechen mir zutiefst aus der Seele ....
Danke Leadersnet.
Allerherzlichst
Nina Adlon

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