Zwischen zwei Stühlen sitzt es sich nie gut

| Redaktion 
| 11.06.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Der Krieg in der Ukraine zeigt – neben dem unbeschreiblichen menschlichen Leid – in vielerlei Hinsicht die internationale, meist auf nationalstaatlichen Grundwerten basierende, Unfähigkeit einer konsequenten Vorgangsweise zur Konfliktbeilegung auf. Bestes (oder in diesem Fall schlechtestes) Beispiel dafür ist der zu oft situationsbedingt interpretierte Begriff der Neutralität. So beschloss das Schweizer Parlament jüngst ein Verbot von Waffenlieferungen an die Ukraine, wenn diese oder nur einzelne Teile davon in der Schweiz produziert wurden, dies gilt selbst für Staaten, die diese Waffen vorab von der Schweiz gekauft haben und diese jetzt an die Ukraine "nur“ weitergeben wollten. Das ist das gute Recht eines Landes, wirft zugleich jedoch für die Zukunft weitere wirtschaftspolitische Fragen auf. Denn es wäre naiv anzunehmen, dass solche nationalstaatlichen Entscheidungen keine Folgewirkungen haben.

Bleibt die Schweiz ein verlässlicher Partner, wenn es um die Nutzung von Ersatzteilen für Fahrzeuge, pharmazeutische Produkte, IT-Equipment oder andere Güter geht? Kann ein Partner wirklich verlässlich sein, wenn das Recht auf Nutzung – egal in welcher Form – nicht sichergestellt ist? Die Schweiz hat mit dieser Entscheidung jedenfalls ein Signal an jene Regierungen ausgesandt, die ihre (Rüstungs)-Aufträge wohl nun mit noch größerer Vorsicht erteilen werden – manche werden die Schweiz als Hersteller sicher gleich ganz meiden. Doch auch Österreich tut sich mit der Interpretation seiner neutralen Haltung sichtbar schwer. Das konnte man spätestens sehen, als das auf seine Neutralität pochende Land sogar den Schutz des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj beim Flug über den österreichischen Luftraum verweigerte. Dabei ist Österreichs Neutralität in nur zwei Artikeln des Bundesverfassungsgesetzes umrissen: Neutralität zur dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zweck der Unverletzlichkeit seines Territoriums. Kein Beitritt zu militärischen Bündnissen sowie keine Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Nationen auf österreichischem Staatsgebiet.

Balanceakt

Der diffuse Umgang Österreichs, aber eben auch anderer Staaten mit Russland ist Ausdruck einer außenpolitischen Hilflosigkeit, die sich vielfältiger Art und Weise zeigt. Sei es beim Kauf von russischem Gas, oder den Versuchen, der heimischen Wirtschaftskammer den Kontakt zum russischen Markt weiter aktiv in Form von Veranstaltungen aufrechtzuerhalten und damit die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen als selbstverständliche Ausnahme vom Status der Neutralität zu betrachten. Das enge – über die Parteigrenzen hinweg bestehende – Verhältnis ist dabei auch historisch bedingt und gewachsen. Unser Ja zur Neutralität als Bedingung Russlands zur Gewährung der Unabhängigkeit im Jahr 1955 war in gewisser Weise der Startpunkt für die engen Beziehungen der beiden Länder. Bis heute werden die vielfältigen Verbindungen gepflegt und gehegt und damit auch – wie in der aktuellen Situation – der Status der Neutralität nach Belieben gedehnt. Waffenlieferungen sind kategorisch ausgeschlossen, die Sanktionen gegen Russland werden aber bedingt durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs mitgetragen.

Österreich sieht sich aus der Geschichte des jahrzehntelangen Kalten Krieges heraus in einer Vermittlerrolle, will Brückenbauer und sicherer Verhandlungsort sein. So twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer vor kurzem: "Wir sind militärisch neutral, haben aber eine klare Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er muss aufhören! Es braucht humanitäre Korridore, einen Waffenstillstand & vollständige Aufklärung der Kriegsverbrechen." Andererseits war er einer der ersten westlichen Regierungschefs, die Wladimir Putin in Moskau zu einem persönlichen Termin trafen.

Diese Ambivalenz zwischen politischen Aussagen und dem Streben nach Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Vorteile – siehe Gas – ist ein Balanceakt, der nicht immer gelingt und von internationaler Seite sehr genau beäugt, teils auch kritisiert wird. Gerade in dieser angespannten Phase werden jedes Wort und jede Tat besonders schnell auf die Waagschale gelegt. Und genau darin liegt eine Gefahr für die Zukunft. Denn die bisherigen Aktivitäten und Aussagen aus Österreich reißen ein Problemfeld nach Schweizer Vorbild auf. Kann Österreich ein verlässlicher Partner sein oder muss man – etwa bei künftigen Rüstungsaufträgen oder rüstungsnahen Beschaffungen – in Zukunft ebenfalls auf der Hut sein? Hier könnten manche Regierungen künftig zurecht sehr genau prüfen, welche Teile eines Auftrages in Österreich produziert wurden. Und ich würde selbst (z.B. als Deutsche Bundesregierung) sehr genau prüfen, woher nun meine Rüstungsgüter kommen. Ohne Garantien Österreichs, dass diese Produkte dann uneingeschränkt verwendbar sind, würde ich hier nicht bestellen. Gerade mit Blick auf den Wunsch der EU nach mehr Unabhängigkeit von Drittstaaten kann der schwer einschätzbare Umgang mit der Neutralität somit fatale Folgen haben – sowohl politisch als auch ökonomisch. Österreich muss sich also gut überlegen nicht nur aus politischen aber vor allem aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden wo man als neutraler EU-Mitgliedsstaat steht. Was bedeutet die Neutralität und was bedeutet sie für den Wirtschaftsstandort Österreich? Leider findet eine offene und faktenbasierte Diskussion zu diesen Fragen derzeit nicht statt. Und so zeigt sicher wieder einmal: Zwischen zwei Stühlen sitzt es sich nie gut, dies zeigt sich im Privaten wie auch im politisch-wirtschaftlichen Bereich.

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