"ESG-Konformität wird für Bestandhalter zu einer Mammut-Aufgabe werden"

| Tobias Seifried 
| 16.03.2023

Immo-Expert:innen zeigen die aktuellen Trends bei Investments sowie Wohn- und Geschäftsimmobilien. Die Stimmung sei schon einmal besser gewesen.

Die Suche nach möglichen Wegen aus der aktuell schwierigen Situation ist das beherrschende Thema bei der diesjährigen MIPIM, der wichtigsten europäischen Standort- und Immobilienmesse, die von 14. bis 17. März 2023 im südfranzösischen Cannes stattfindet. Die Kombination mehrerer belastender Faktoren wie der Ukrainekrise, der rapide gestiegenen Inflation und Zinsen, schwaches Wirtschaftswachstum und die zusätzliche Belastung der Immobiliennutzer durch hohe Energiepreise hat den lange anhaltenden Höhenflug der Immobilienmärkte jäh beendet.

EU-Taxonomie als Top-Thema

"Die Stimmung war sicherlich schon besser", konstatiert Michael Ehlmaier, CEO der EHL Immobilien Gruppe. "Jeder Boom geht einmal zu Ende und seit letztem Sommer hat sich diese Erkenntnis vielleicht etwas rascher und härter manifestiert, als die meisten Expert:innen annahmen. Obwohl die aktuelle Situation sicherlich sehr herausfordernd ist, bringt jeder Wandel auch Chancen, die es zu nutzen gilt."

Parallel zum zyklischen Rückgang der Nachfrage auf den Kapitalmärkten sei die Branche auch mit der stärkeren Hinwendung der Immobilienwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit konfrontiert, so Ehlmaier: "Die Inflation und der dadurch ausgelöste Zinsanstieg wird uns im Vergleich zur Umstellung der Immobilienbranche auf die Anforderungen der EU-Taxonomie nur kurzfristig beschäftigen. Dieser Trend ist auf der MIPIM auf nahezu allen Ständen greifbar und wird das beherrschende Thema der kommenden Jahre bleiben."

Die wichtigsten MIPIM-Trends

  • Investment

Nach einer gewissen Schockstarre, die seit dem zweiten Halbjahr 2022 zu einem deutlichen Rückgang des Transaktionsgeschehens auf den europäischen Immobilienmärkten geführt hat, werden auf der MIPIM wieder verstärkt neue Geschäftsmöglichkeiten sondiert. "Das Umfeld ist zwar nach wie vor schwierig, aber mittlerweile werden die geänderten Rahmenbedingungen in die Business-Pläne eingearbeitet und es beginnt sich ein neues Preisniveau abzuzeichnen. Derzeit ist allerdings die sowohl für Käufer-als auch für die Verkäuferseite akzeptable Schnittmenge noch nicht gefunden", erklärt Franz Pöltl, Geschäftsführer der EHL Investment Consulting.

"Zudem entwickeln sich wichtige Nutzermärkte wie Wohnen, Büro und Logistik trotz konjunktureller Risiken erfreulich positiv. Das sorgt auch wieder für einen gewissen Optimismus." Die nach wie vor ungelöste Situation in der Ukraine und die aktuelle Zinsentwicklung mit zumindest einer noch ausstehenden Anhebung würden zwar auch in den kommenden Monaten die Stimmung dominieren, die Bestrebungen zur Erreichung der von der EU vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele stellten jedoch eine nicht minder herausfordernde, aber langfristige Aufgabe dar. "ESG-Konformität wird einerseits für Entwickler im Neubaubereich zu einem absoluten 'Must-Kriterium', andererseits für Bestandhalter zu einer Mammut-Aufgabe werden, um die von der Kommission vorgegebene CO2-Neutralität bis 2050 zu schaffen. So mancher Entwickler/Asset Manager entdeckt daher vor diesem Hintergrund das Geschäftsmodell 'Manage to ESG 'für sich", so Pöltl.

  • Büroimmobilien

So wie in Österreich haben sich die Büromärkte im Vermietungssegment auch europaweit trotz des markanten Konjunktureinbruchs gut gehalten. "Das ist aber nur auf den ersten Blick überraschend", meint Stefan Wernhart, Geschäftsführer der EHL Gewerbeimmobilien. "In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich eine Qualitäts- und Nachhaltigkeitsoffensive vollzogen. ESG-und Nachhaltigkeitskriterien rücken zunehmend in den Fokus der Standortgesuche."Generell spielen Kostenüberlegungen bei Standortwechseln aktuell nur eine untergeordnete Rolle. „Das Büro ist zu einem der zentralen Elemente für die Attraktivität als Arbeitgeber geworden", betont Wernhart.

Die Qualität eines Objekts werde damit zu einem wichtigen Erfolgsfaktor, in den auch entsprechend viel investiert werde. In Kombination mit dem großen Druck zu mehr Nachhaltigkeit, mit dem vor allem am Kapitalmarkt aktive sowie börsennotierte Unternehmen konfrontiert seien, sorge dieser für viel Bewegung am Markt und eine sehr gute Nachfrage im Topsegment.

  • Wohnimmobilien

Auch bei Wohnimmobilien stellen die geänderten Marktbedingungen Entwickler:innen und Investoren:innen vor neue Herausforderungen. Kaufentscheidungen und Bauvorhaben sind noch genauer zu prüfen als in den Jahren zuvor. "Ein Projekt wird heute nur erfolgreich sein, wenn es in jeder Hinsicht – Wohnungsmix, Pricing, Grundrisse, Zusatzservices etc. – exakt den Markterfordernissen entsprechend geplant und umgesetzt wird", sagt Karina Schunker, Geschäftsführerin der EHL Wohnen.

Aktuell seien zahlreiche Einflussfaktoren wie etwa die wirtschaftliche Belastung vieler Haushalte, die strengeren Finanzierungsvorschriften, neue Mobilitätsformen, geänderte Mieter-bzw. Käuferpräferenzen, Nachhaltigkeitsthemen etc. spürbar, die den Markt deutlich verändern würden. Alte Erfahrungswerte hätten laut Schunker nur mehr bedingt Gültigkeit. Daher stünden fundierte Marktkenntnisse und Erfahrungswerte an oberster Stelle. Das habe auch bei der MIPIM zu vielen Gesprächen unter Branchenkollegen angeregt.

"Damit gewinnen das Know-How und die Vielzahl an Daten sowie Informationen, die Makleraus täglichen Kundenkontakten gewinnen, noch stärker an Bedeutung", so Schunker. Dank innovativer Tools, die von unterschiedlen Proptechs angeboten werden, sollen die eigenen Daten in Zukunft noch besser genutzt und ausgewertet werden können. Dadurch sollen auch die Kund:innen bei Projektkonzipierungen ausführlicher beraten und unterstützt werden können. Die EHL-Expertin abschließend: "Das steigert zugleich den späteren Vermarktungserfolg."

www.ehl.at

www.mipim.com

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