"Ohne starke Marke kann es keine gute Performance geben"

Der neue Marketingchef der Raiffeisenbank International, Christoph Kullnig, erzählt im LEADERSNET-Interview, welche Entwicklungen unaufhaltsam sind, wo und wie er die Kunden erreichen will, wann die neue Werbelinie präsentiert wird und warum Novak Djokovic in Österreich nicht als Testimonial eingesetzt wird.

Christoph Kullnig ist der neue Head of Group Marketing der Raiffeisenbank International (RBI) und hat dort das Erbe von Leodegar Pruschak angetreten. In der "neuen Welt" des Marketings aufgewachsen – der Niederösterreicher war vier Jahre lang Vice President Marketing bei Runtastic – scheint er jetzt in der "alten Welt" des Marketings gelandet zu sein.

LEADERSNET hat den Marketingspezialisten zum Interview getroffen und gefragt, wie Tennis-Ass Novak Djokovic zur Zusammenarbeit überredet werden konnte, in welche Richtung sich Marketing und Kommunikation entwickeln werden und was er von der Jugend von heute hält.

LEADERSNET: Sie sind seit Oktober bei der RBI. Wie gefällt es Ihnen bisher?

Kullnig: Mir gefällt es super! Die Marke Raiffeisen hat mich seit meiner Kindheit begleitet. Die Marke ist omnipräsent in Österreich und eine der stärksten Marken des Landes. Die Möglichkeiten, die man dadurch hat, sind unübertreffbar. Wenn ich sehe, wie viele Möglichkeiten wir hier haben und was in den nächsten Jahren mit dieser Marke und unserem Geschäft möglich ist, dann gefällt es mir gleich noch besser.

LEADERSNET: Sie kommen aus dem Digitalbereich, aus dieser "neuen Welt" des Marketings. In welche Richtung wird sich die Kommunikation in Zukunft entwickeln?

Kullnig: Es wird hybrid werden. Einerseits wird das ganze Geschäft hybrid werden, aber auch das Marketing wird hybrid. Kommunikation sehe ich als Teil des Marketings. Ich bin der Ansicht, dass Marketing eine Business-Function hat und in diesem gesamten Funnel, zu dem auch der Sales-Bereich dazugehört, in Zukunft viel mehr Verantwortung haben wird. Das hat den Grund, dass wir 2025 auch in unserer Branche 60 bis 80 Prozent der Neukunden digital gewinnen werden müssen. Die Entwicklung wird unaufhaltsam in diese Richtung gehen. Das Bestandsgeschäft wird noch schneller auf digital umstellen.

Das bedeutet, dass wir mit Neu- und Bestandskunden dann in ihren Kanälen, wo sie erreichbar sind, kommunizieren müssen. Das wird aber nicht nur digital sein. Aus heutiger Sicht nutzen rund 80 Prozent der Kunden sowohl digitale als auch analoge Kanäle. Es gibt nur zehn Prozent auf beiden Enden, die nur einen der beiden Kanäle nutzen und es wird sich in Zukunft natürlich mehr in die rein digitale Richtung verschieben. Dennoch wird es nicht so sein, dass 50 oder 70 Prozent ausschließlich digitale Kanäle nutzen werden. Deswegen nochmal: Wir müssen die Kunden dort erreichen, wo sie erreichbar sind. Das heißt, wir müssen – und das ist der heilige Gral des 360-Degrees-Marketings oder des Integrated-Marketings – uns so aufstellen, dass wir möglichst viele Touchpoints schaffen und die Leute dann im Funnel, je nachdem, ob Neu- oder Bestandskunde, bedienen können. Das wird entscheidend sein, ob ein Unternehmen oder dessen Marketing in Zukunft erfolgreich ist oder nicht.

LEADERSNET: Wie würden Sie den Markenkern der RBI definieren?

Kullnig: Der ist nicht so ausdefiniert, wie man glauben möchte. Deshalb sind wir gerade in einem Projekt, wo wir uns das anschauen. Wir haben natürlich eine starke Legacy, die auf den Gründungsgedanken von Friedrich Wilhelm Raiffeisen beruht, nämlich: "Was einer nicht schafft, das schaffen viele." Ich glaube auch, dass diese Hilfe zur Selbsthilfe, ein Thema ist, das jetzt gerade an Aktualität gewinnt. Die soziale Verantwortung von großen Unternehmen könnte ein zukünftiger Purpose sein, der uns bewegt. Ich glaube, dass dieser Purpose in Zukunft darüber entscheiden, ob man einen Geschäftserfolg hat oder nicht.

LEADERSNET: Sie haben gesagt, dass der Zweck der Marke wichtiger sein wird, als die Marke an und für sich. Wenn ich an Raiffeisen denke, dann fällt mir einerseits das Thema Regionalität ein und andererseits auch, um persönliche Betreuung, als dass es dort jemanden gibt, der "Grüß Gott" sagen kann – und das wird keine Maschine sein. Sehen Sie das ähnlich?

Kullnig: Ich glaube, wie ich vorhin kurz erwähnt habe, dass es in Zukunft auf ein Hybridmodell hinauslaufen wird. Ich glaube, man kann – gerade für so etwas, was wir machen, was sehr austauschbar und relativ wenig emotional ist – die Leute nur mehr mit der Marke tatsächlich binden und da muss ich ganz jung anfangen. In Osteuropa haben wir sicher eine andere Zielgruppe als in Österreich, da sind wir hauptsächlich in den Städten und haben im Vergleich auch weniger Mitarbeiter und Geschäftsstellen. Das heißt, dort müssen wir viel mehr auf die digitalen Kanäle setzen und sind damit auch sehr erfolgreich.

Unsere Stärke in Österreich ist genau jene, die Sie beschrieben haben. In diesem Zusammenhang gibt es natürlich das klassische Henne-Ei-Problem: Haben wir so viele Kunden, die mit uns reden wollen, weil wir die Geschäftsstellen haben oder kriegen wir mehr Kunden, wenn wir mehr Geschäftsstellen haben. Sprich was gibt es zuerst: Die Geschäftsstelle oder das Kundenbedürfnis. Ich glaube, wir müssen auf das Kundenbedürfnis – und das ist das Entscheidende – eingehen. Und dieses Kundenbedürfnis ist überall anders. Jemand in der Stadt hat ein anderes Kundenbedürfnis als jemand am Land und eine alte Person ein anderes als jemand, der jung ist.

LEADERSNET: In den letzten Jahren hat Raiffeisen sehr auf Sportsponsoring gesetzt, sprich Markenführung mit Werbetestimonials aus dem Sport wie Marcel Hirscher und Hermann Maier. Wird das unter Ihrer Führung so fortgesetzt? Es gibt mit Novak Djokovic ja bereits ein neues Sport-Testimonial.

Kullnig: Diese Testimonial-Strategie, die Leodegar Pruschak über die letzten Jahrzehnte sehr erfolgreich gemacht hat, kommt von der Zentralen Raiffeisenwerbung, die den Markenauftritt der Raiffeisen Bankengruppe Österreich (RBG) österreichweit koordiniert und steuert. Wir haben hier also eine eigene Organisation und als ich hier angefangen habe, dann habe ich mir gedacht, dass uns genauso eine Strategie in den osteuropäischen Ländern fehlt. Ich habe mir dann überlegt, wie wir das machen könnten und wir haben relativ schnell erkannt, dass es eine Nummer 1 in der jeweiligen Sportart sein muss, die über alle Länder hinweg bekannt ist. Wir haben Umfragen durchgeführt und sind relativ schnell auf Novak Djokovic gekommen, der natürlich unsere Ambitionen – die most recommended financial Service-Group, also Nummer 1 in NPS (Net Promoter Score) oder in Weiterempfehlungen zu sein – perfekt wie kein anderer kommuniziert.

Dann hat es ein bisschen gedauert, bis die Zusammenarbeit zustande gekommen ist. Auf unserer Seite hat es natürlich finanzielle Überlegungen gegeben und auf der anderen Seit ist es so, dass Djokovic sehr „picky" ist und eigentlich immer kategorisch ausgeschlossen hat, für Banken und Finanzdienstleister zu werben. Wir haben es dann – auch dank der Unterstützung des international und im Sportbusiness erfahrenen Rechtsanwalts Robin Lumdsen und unserer Agentur – geschafft, in dem wir ihm gesagt haben, dass wir ihn nicht wollen, damit er dort steht und einen Kredit verkauft, sondern weil wir wirklich ein Paket rund um ihn bauen wollen, und dass uns in diesem Zusammenhang auch wichtig ist, dass wir seine Akademie und sein Team unterstützen, und dass der soziale Aspekt und unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht zu kurz kommen. Das war dann wahrscheinlich der Trigger, wieso er gesagt hat, er macht es doch.

LEADERSNET: Wird er auch in Österreich als Testimonial fungieren oder nur am internationalen Markt?

Kullnig: Nein, nur am internationalen Markt. Der Hintergrund ist der, dass wir in den Umfragen sehen, dass Djokovic in Österreich zu sehr polarisiert. Für 50 Prozent stimmen seine Markenwerte mit unseren in Österreich nicht überein. Das ist ein Wert, den man dann nicht als Grundlage für die Entscheidung einer Partnerschaft nimmt. Idealerweise gibt es hier eine Übereinstimmung von 70 bis 80 Prozent. Egal wie gut das Testimonial ist, wird man immer ca. 20 Prozent "Ablehnung" haben.

LEADERSNET: Sie haben vorhin erwähnt, dass das Bankgeschäft in den kommenden Jahren noch viel digitaler werden wird. Welche Vision haben Sie für das Unternehmen? Sie sind sehr Performance-getrieben. Was sind die Benchmarks, die sich selber stellen und an denen man erkennt, dass Christoph Kullnig erfolgreich ist?

Kullnig: Wenn unsere Marke jemandem abgeht, sprich das Giebelkreuz verschwinden würde und 80 Prozent sagen würden "Das geht nicht" und sich aufregen würden, dann hätten wir einen guten Job gemacht, weil das bedeutet, dass die Marke eine wichtige Rolle für die Menschen spielt. Marke ist natürlich ein wichtiges Element der strategischen Marktführung, um sie für Leute einerseits relevant und andererseits – was noch viel wichtiger ist – attraktiv zu machen. Die Leute müssen sich zu einer Marke hingezogen fühlen. Das müssen wir erreichen und dafür muss man auf eine starke Marke bauen, die dann mit Performance funktioniert. Brand first, Performance follows. Ohne starke Marke kann es keine gute Performance geben.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie den Markt in CEE (mittel- und osteuropäische Länder)?

Kullnig: Ich glaube, die Frage ist zuerst einmal, wie man den Markt definiert. Ich würde hier wahrscheinlich auf die Finanzdienstleistung einschränken. Hier tut sich sehr viel. Es kommen junge Start-ups, die uns challengen, weil sie im Kern die Kundenzentrierung haben, die wir noch nicht so haben. Das müssen wir lernen. Diese Start-ups werden gegründet, weil sie ein Problem für einen Kunden lösen und das wird dann skaliert oder eben nicht. Wir haben natürlich alle Lösungen und tun uns aber teilweise schwer, die Kunden richtig anzusprechen und die Lösungen wirklich entsprechend den Bedürfnissen der Kunden zu bauen. Das wird die entscheidende Challenge sein. Sicher ist, dass das Bankgeschäft zur Commodity wird. Das ist etwas, was man erledigen will, ohne viel Schmerzen und idealerweise mit einem guten Gewissen.

Wir haben vor fünf bis zehn Jahren Umfragen gemacht, wo raus gekommen ist, dass ein Banktermin für einen Jugendlichen emotional auf einer Stufe mit einem Zahnarztbesuch gewesen ist. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Leute emotional an unsere Marke binden. Dafür sind Testimonials ein guter Weg, aber auch Content oder die richtige Purpose sind der richtige Weg, um die Leute an die Marke zu binden. Die Digitalisierung ist nicht die Challenge. Wir sind nicht immer der digitale Vorreiter in unseren CEE aber im Vergleich zu anderen Banken unserer Größe sind wir alle auf einem ähnlichen Level. Die wirkliche Challenge liegt darin, Probleme zu lösen, die emotionale Bindung aufzubauen und die Marke damit aufzuladen. Dann werden wir auch erfolgreich sein.

LEADERSNET: Abschließend noch eine Frage, die ich den meisten unserer Interviewpartner stelle: Dürfen uns auf die Zukunft freuen oder müssen wir ihr mit Respekt begegnen?

Kullnig: Ich bin zwiegespalten. Ich bin sehr traditionell aufgezogen worden und habe mir immer gedacht – auch weil man es von den Eltern gehört hat, die sehr traditionell sind – dass die Welt den Bach runtergehen wird. Aber mittlerweile glaube ich das nicht mehr, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass ich die letzten Jahre viel international unterwegs war. Die Jugend hat sich noch nie so sehr gekümmert, wie jetzt. Man glaubt immer, die kümmern sich nimmer und leben nur in den Tag hinein. Ich sehe das ein bisschen differenzierter. Ich glaube die Jugend sieht, dass wenn wir dieses Programm weiterfahren, dann werden wir wirklich nicht überleben. Wir beuten die Umwelt aus und schauen nicht mehr auf uns. Für die Jugend zählt das "Wir" – man sieht es bei Initiativen wie "Fridays for Future" – wieder viel mehr als das "Ich". Ich glaube, das ist eine Chance. Ich sehe sowieso meistens nur Opportunities und Chancen und bin ganz selten pessimistisch. Wir haben jetzt irrsinnige Möglichkeiten – dank des technischen Fortschritts und der Weiterbildung – Themen wirklich anzugreifen, die vor 40 oder 50 Jahren nicht angegriffen wurden, weil die Leute damit beschäftigt waren, Grundbedürfnisse zu decken oder sich Wohlstand aufzubauen. Ich bin positiv und freue mich auf die Zukunft.

www.rbinternational.com

Über Christoph Kullnig

Christoph Kullnig wurde 1979 in Krems an der Donau (Niederösterreich) geboren und ist in Furth bei Göttweig aufgewachsen. Kullnig hat Jus studiert und war im Anschluss sechs Jahre beim Militär in Mautern. Anschließend hat er die Donau Universität besucht, wo er einen MBA (Master of Business Administration) in den Bereichen "Markting & Sales" sowie "Entrepreneurship & Innovation" absolviert hat.

Über Stationen in Schweden und Deutschland ist der gebürtige Oberösterreicher dann 2013 bei J. Lindeberg als Head of Marketing gelandet. Nach einem Zwischenstopp bei Nora Systems von 2015 bis 2016 heuerte Christoph Kullnig dann bei Runtastic als Vice President Marketing an. Nach einem kurzen Intermezzo 2020 als Vice President Marketing bei der Paysafe Group ist Kullnig seit Oktober des vergangenen Jahres Head of Group Marketing bei der Raiffeisenbank International (RBI)

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Über Christoph Kullnig

Christoph Kullnig wurde 1979 in Krems an der Donau (Niederösterreich) geboren und ist in Furth bei Göttweig aufgewachsen. Kullnig hat Jus studiert und war im Anschluss sechs Jahre beim Militär in Mautern. Anschließend hat er die Donau Universität besucht, wo er einen MBA (Master of Business Administration) in den Bereichen "Markting & Sales" sowie "Entrepreneurship & Innovation" absolviert hat.

Über Stationen in Schweden und Deutschland ist der gebürtige Oberösterreicher dann 2013 bei J. Lindeberg als Head of Marketing gelandet. Nach einem Zwischenstopp bei Nora Systems von 2015 bis 2016 heuerte Christoph Kullnig dann bei Runtastic als Vice President Marketing an. Nach einem kurzen Intermezzo 2020 als Vice President Marketing bei der Paysafe Group ist Kullnig seit Oktober des vergangenen Jahres Head of Group Marketing bei der Raiffeisenbank International (RBI)

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