"Ohne moderne Eisenbahn-Infrastruktur sind die Klimaziele unerreichbar"

ÖBB-Infrastruktur-Vorständin Silvia Angelo im Interview über Milliardeninvestitionen, Windkraftwerke für Bahnstrom und Dumpinglöhne bei Frächtern.

Silvia Angelo ist seit rund zwei Jahren Mitglied des Vorstands der ÖBB-Infrastruktur AG und dort für das Ressort "Finanzen, Markt, Service" zuständig. LEADERSNET hat die Managerin zum Gespräch getroffen und sich mit ihr darüber unterhalten, wie man es schaffen kann, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu bekommen, den Kampf um die besten Köpfe und welche grenzüberschreitenden Maßnahmen die ÖBB setzen, um das Klima zu schonen.

LEADERSNET: Wie wichtig ist die Eisenbahninfrastruktur noch in Zeiten von Glasfaser und Co, gehört das nicht "zum alten Eisen?"

Angelo: Eine moderne und leistungsfähige Eisenbahninfrastruktur ist unverzichtbar – und wird durch die aktuellen Entwicklungen immer wichtiger. Sie erlaubt es, dass wir in Zeiten enorm steigender Umweltbelastung unseren Lebensstandard aufrechterhalten können. Ohne Eisenbahn sind unsere Klimaziele schlicht nicht zu erreichen, weder in Österreich noch sonst wo in Europa. Ohne Eisenbahn kann die Mobilität mit dem Wirtschaftswachstum nicht Schritt halten. Eine Tonne Güter auf dem Lkw verursacht 33 Mal mehr CO2 als auf der Schiene, ein Autofahrer 15 Mal mehr als ein Bahnfahrer. Deswegen sind Investitionen in die Eisenbahn-Infrastruktur Investitionen in die Zukunft, in die unserer Kinder und Enkel.

LEADERSNET: Welchen Maßnahmen setzen Sie, um den CO2-Ausstoß zu verringern?

Angelo: Im Sommer 2018 haben wir unseren Betrieb auf 100 Prozent grünen Bahnstrom umgestellt und damit neue Maßstäbe gesetzt. Doch damit geben wir uns nicht zufrieden. Das weltweit erste Bahnstrom-Solarkraftwerk in Wilfleinsdorf soll bald Gesellschaft bekommen, und es folgen eigene Windkraftwerke für Bahnstrom, das ist ebenfalls eine Weltpremiere. Und auch unsere Wasserkraftwerke werden ausgebaut. Mit acht eigenen Bahnstrom-Wasserkraftwerken können wir auch auf diesem Gebiet auf beträchtliches Know-How verweisen.

Und natürlich arbeiten wir daran, die Elektrifizierung unseres Streckennetzes weiter voranzutreiben: Derzeit sind 75 Prozent unserer 5.000 Kilometer elektrifiziert. In Tirol zum Beispiel erreichen wir noch heuer die 100 Prozent. In Kärnten erreichen wir bis 2023 die vollständige Nahverkehrs-Elektrifizierung des Nahverkehrs. In Oberösterreich, Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten und dem Burgenland laufen große Projekte. Und die wenigen Strecken, bei denen die Elektrifizierung nicht möglich ist, arbeiten wir an klimaschonenden Lok-Antrieben etwa mit Wasserstoff. Österreich ist auch international Vorreiter, wir setzen grenzüberschreitende Maßstäbe.

LEADERSNET: Ist Österreich nicht zu klein, um allein etwas zu bewirken? Haben Sie im internationalen Kontext Wünsche an Brüssel?

Angelo: Der Güterverkehr auf der Schiene wird sich nur dann in Europa nachhaltig durchsetzen, wenn noch bestehende Hürden fallen. Und solange die hohen zusätzlichen Umweltkosten der Lkws nicht von den Verursachern gezahlt, sondern von der Allgemeinheit geschluckt werden, solange Lkw-Fahrer mit Dumping-Löhnen von wenigen hundert Euro im Monat mit subventioniertem Diesel und alten Lkws durch Europa fahren können, bewegt sich der Wettbewerb auf einer schiefen Ebene. Dann wird sich am niedrigen Marktanteil des Schienen-Güterverkehrs von europaweit lediglich etwa 17 Prozent kaum etwas ändern. Das Ziel der EU, bis 2030 auf 30 Prozent und bis 2050 auf 50 Prozent zu kommen, ist noch in weiter Ferne. Hier muss Brüssel aktiver werden. In Österreich haben wir übrigens mit rund 30 Prozent Marktanteil unsere Hausaufgaben schon gemacht. Aber auch die Bahnen selbst müssen attraktivere Angebote machen und Schwächen ausmerzen.

LEADERSNET: Welche Rolle kann die ÖBB in diesem Zusammenhang spielen?

Angelo: Österreich und die ÖBB spielen hier eine sehr wichtige Vorreiterrolle. Fünf der elf Frachtkorridore der EU führen durch Österreich. Diese elf Korridore sind das Rückgrat des europäischen Schienenfrachtverkehrs. Das System Schiene kann nur gewinnen, wenn eine ausgezeichnete Infrastruktur zur Verfügung steht. Drei Punkte sollen hier deutliche Fortschritte bringen. Einmal die bessere Einteilung der vorhandenen Schienen-Kapazitäten, die den Frachtunternehmen auf der Schiene eine flexiblere Planung ermöglichen. Künftig soll die rasche, flexible Buchung von Transportkapazitäten viel leichter werden – und ein Pilotprojekt dazu läuft auch durch Österreich. Ab 2021 wird das gesamte österreichische Schienennetz hierzu zum Vorzeigeprojekt. Die europäischen Steuerzahler haben das Recht, dass die Schieneninfrastruktur, in die Milliarden investiert wird, auch möglichst effizient genutzt wird. Zweitens muss es gelingen, mit modernster Software und klassischen Sprachkursen Sprachbarrieren niederzureißen. Und drittens müssen auch die vielen unnötigen oft stundenlangen Grenzaufenthalte der Güterzüge, die zum Teil noch in veralteten regionalen Gesetzen begründet sind, der Vergangenheit angehören.

LEADERSNET: Wo liegen in diesem Zusammenhang noch die größten Hürden?

Angelo: An was es zum Teil noch mangelt, ist die Planungssicherheit, da nicht alle Länder über ein so langfristiges System wie unseren Rahmenplan verfügen. Es ist schwierig und bremst die Attraktivität des Systems Bahn in Europa, wenn der Güter- und Personenverkehr acht bis 20 Monate vorausplanen und Streckenwünsche bei den Infrastrukturbetreibern anmelden muss, manche Infrastrukturbetreiber aber erst ganz wenige Monate oder sogar Wochen zuvor wissen, was sie wann wo bauen können und wo es dann Sperren geben wird – weil die Finanzmittel in manchen Staaten so kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. Es wäre nicht schlecht, wenn Brüssel hier Druck aufbauen würde, etwas langfristiger zu denken

LEADERSNET: Wieviel investieren Sie in den nächsten Jahren?

Angelo: Gemäß dem Rahmenplan 2018 bis 2023 werden innerhalb von sechs Jahren knapp 14 Milliarden Euro in Strecken, Tunnel, Brücken, Sicherungsanlagen, Kraftwerke und moderne Bahnhöfe investiert. Mit unseren Investitionen gehören wir auch im europäischen Maßstab zu den großen Playern – im Zeitraum 2015 bis 2025 werden wir die Marke von 20 Milliarden übersteigen, das ist auch international gesehen höchst beachtlich. Der Rahmenplan wird zusammen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) erstellt und von der Regierung beschlossen, wobei rollierend immer ein weiteres Jahr hinzugefügt wird. Damit ist große Planungssicherheit und optimaler und zugleich sparsamer Einsatz der Steuermittel gewährleistet. Um diese Möglichkeit, langfristig zu planen, beneiden uns viele Infrastruktur-Unternehmen in Europa. Aber auch die die Höhe der Investitionen selbst kann sich sehen lassen: Hier liegen wir mit 187 Euro pro Kopf und Jahr EU-weit an der Spitze, in Deutschland liegen die Investitionen zum Vergleich nur bei 69 Euro, in Italien bei 73 Euro. Und von diesen Investitionen profitiert natürlich die gesamte österreichische Wirtschaft, wie unabhängige Wirtschaftsforscher erhoben haben.

LEADERSNET: Wie stark profitiert die Wirtschaft außerhalb der ÖBB von Ihren Investitionen?

Angelo: Zwei Jobs bei den ÖBB schaffen oder erhalten einen weiteren Job außerhalb unseres Konzerns – also mehr als 20.000. Wir erzielen fast fünf Milliarden Euro an Wertschöpfung pro Jahr, und unsere Steuerleistung beträgt mit jährlich zwei Milliarden fast genau so viel, wie wir für Investitionen bekommen – das ist doppelt so viel wie in Österreich aus dem Titel Grunderwerbssteuer oder Versicherungssteuer eingenommen wird. Wir schaffen Werte: Der Wiederbeschaffungswert unserer technischen Infrastruktur liegt bei mehr als 40 Milliarden Euro. In den Regionen, in denen derzeit gebaut wird – etwa die Semmering-Region, am Brenner oder in der Gegend des Koralmtunnels tragen wir viel zur Auslastung der regionalen Wirtschaft bei, egal ob Handwerk, Dienstleistungen oder Gastgewerbe. Und: Wir sind ein Jobmotor: In den kommenden fünf Jahren benötigen wir etwa 10.000 neue Mitarbeiter.

LEADERSNET: Haben Sie Probleme, diese nötigen MitarbeiterInnen zu bekommen?

Angelo: Der Kampf um die besten Köpfe hat bereits begonnen, und wir sind ein sehr attraktiver Arbeitgeber – was nicht heißt, dass wir uns nicht jeden Tag aufs Neue anstrengen müssen, um qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber zu überzeugen. Es gibt kaum ein Unternehmen in Österreich, das eine so breite Palette an Berufsbildern und Aufgaben vereint: Expertinnen und Experten für den Schienenbau, für die technische Überwachung der Züge, Fahrdienstleiterinnen und Fahrdienstleiter, MitarbeiterInnen für die persönliche Sicherheit der Fahrgäste bis hin zu Kraftwerksexpertinnen und Experten, Spezialistinnen für Wetterprognosen oder für Lawinenverbauungen. Wir bieten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Beispiel als Zusatz-Asset auch Wohnungen an. Wir sind überdies der größte Lehrlingsausbilder in Österreich für technische Berufe – allein in der Infrastruktur AG sind es 1.700 Auszubildende, für die wir Verantwortung übernommen haben und die einmal das Rückgrat unseres Unternehmens bilden werden.

LEADERSNET: Wie entscheiden Sie, wie viel sie wann und wo investieren, immerhin mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr?

Angelo: Basis unserer Infrastruktur-Planungen ist das "Zielnetz 2025+". Hier werden die strategischen Weichen für Ausbau und die Instandhaltung der Anlagen gestellt. Ziel ist es, einen leistungsfähigen Taktfahrplan für den Personenverkehr zu ermöglichen und die weitere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene bestmöglich zu unterstützen. Im Streckenentwicklungsprogramm wird dann in Etappen konkretisiert und priorisiert. Derzeit liegen unsere Schwerpunkte natürlich auf dem Ausbau der Südstrecke mit Semmering-Basistunnel und der Koralmstrecke, beim Brenner-Basistunnel und dem viergleisigen Ausbau der Weststrecke. In einem weiteren Schritt werden die Investitionsprogramme dann in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Verkehrslandesräten auf die Landesebene heruntergebrochen – das bringt Nähe zum Kunden, ohne die geht es auch bei der Infrastruktur nicht.

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