Gastkommentar
Gesinnungsethik mit fatalen Auswirkungen

| Redaktion 
| 25.02.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Unser Rechtsrahmen mit all seinen dazugehörigen Gesetzen gibt Auskunft darüber, was richtig und falsch ist, und er regelt in weiten Teilen den Umgang der Menschen miteinander. Falls Sie, geneigte Leser:innen nun einen Gastkommentar über Sinn und Unsinn vieler gesetzlicher Regelungen oder über den manchmal undurchdringlichen Dschungel bürokratischer und unsinniger Gesetze erwarten, muss ich Sie enttäuschen. Nicht, dass mich dieses Thema nicht auch sehr reizen würde, aber nein. Mir geht es vielmehr darum, wozu Gesetze eigentlich dienen sollten. Im Grunde genommen sollten sie eine einfache und verständliche Beschreibung der Do's und Don'ts für ein friedliches und gutes Zusammenleben darstellen. Dass es hierfür nicht nur Gesetze braucht, sondern dass auch Faktoren wie Moral, Menschlichkeit, Umgangsformen etc. eine wichtige Rolle spielen, ist natürlich klar.

Im Spannungsfeld

Und genau an dieser Stelle wird es auch schon problematisch und nicht nur das. Sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft müssen sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen gesetzlich Erlaubtem und moralisch Erwünschtem bewegen. Dazu ein paar Beispiele, wie sich Moralapostel, Sittenwächter und/oder Idealist:innen die Welt vorstellen: Flugreisen? Rechtlich zulässig, aber moralisch verpönt. Verbrennungsmotoren? Gesetzlich erlaubt, aber verachtenswert. Fleisch essen? Den Vorschriften entsprechend, aber ethisch verwerflich. Atomkraft? In vielen Ländern legal, aber gewissenlos. Rüstungsindustrie? Vom Gesetzgeber genehmigt, aber skrupellos. Genussmittel? Reguliert, aber verachtenswert. Das artet für immer mehr Akteur:innen zu einer wahrlichen Belastung aus, weil sie sich in vorauseilendem Gehorsam von legitimen und rechtmäßigen Verhaltensweisen distanzieren und diese durch Leitfäden oder Handlungsanleitungen mitunter komplett ausschließen.

Vorauseilendes "Tugendheldentum"

Am Beispiel Atomkraft lässt sich dies vortrefflich illustrieren: Obwohl in Österreich höchst umstritten, besteht der Strommix hierzulande aus bis zu 12 Prozent Atomstrom, größtenteils importiert aus Tschechien und Bayern. Trotzdem wird es Energieunternehmen mehr oder weniger untersagt, Atomstrom zu verwenden. In anderen Staaten, wie etwa in Frankreich wird Atomstrom hingegen dringend benötigt, um der Energiekrise zu entgehen. Und in der Bundesrepublik Deutschland müssen nun im großen Stil Gaskraftwerke errichtet werden, nachdem die Bundesregierung den Beschluss zum Stopp der Atomkraft gefasst hat, der allerdings illegal war und so zusätzlich Milliarden an Schadensersatzzahlungen verursacht hat. Ganz nebenbei werden derzeit weltweit so viele Atomkraftwerke gebaut bzw. geplant wie nie zuvor.

Ein anderes Beispiel aus der gesellschaftlich, moralisch und ethisch erwünschten Ecke ist die biologische Landwirtschaft. Sie wiederum hat jedoch mit dem Problem zu kämpfen, dass die Konsument:innen vielfach nicht willens oder wirtschaftlich einfach nicht in der Lage sind, die höheren Preise für die so hergestellten Produkte zu bezahlen. Die Zahl der österreichischen Biobauern ist seit dem Vorjahr um mehr als 900 gesunken, eine Tendenz, die sich durch die finanzielle Schlechterstellung der ökologischen Landwirtschaft voraussichtlich auch nicht bessern wird.

Ein anderes aktuelles Beispiel für die Schädlichkeit von vorauseilendem "Tugendheldentum" ist aber die Rüstungsindustrie. Wie viele Politiker:innen haben sich in den vergangenen zwei Jahren in einer Rüstungsfabrik, mit Panzerfahrzeugen etc. ablichten lassen, da sich die gesamte Industrie vom Schmuddelkind zum Retter der Freiheit gewandelt hat? Dennoch wird diese Industrie in ihrer wichtigen Entwicklung gehemmt, und warum? Weil eine Vielzahl von Banken und Fonds – den Weltverbesserer:innen folgend – nach dem Ende des Kalten Krieges beschlossen haben, diese (legalen!) Geschäfte nicht weiter zu finanzieren bzw. die Zusammenarbeit schlichtweg einzustellen. Welch fatale Situation, in der wir uns damit befinden.

Offene Diskussion

Ich könnte die Liste dieser Beispiele noch weiterführen, doch ich denke, mein Punkt ist klar: Ich meine, dass idealistische Bestrebungen durchaus ihre Berechtigung haben. Jedenfalls gehören diese Gedanken zumindest offen diskutiert, und wenn es dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, so sollten sie auch in Gesetze gegossen werden, wie es etwa aktuell beim Lieferkettengesetz passiert. Was es aber zu vermeiden gilt, ist ein Ausschluss legaler Verhaltensweisen durch vorauseilenden Gehorsam. Dies würde nämlich unweigerlich opportunistisches Verhalten befeuern. Dieses wiederum ist, wie wir wissen, so beweglich wie eine Windfahne und damit aber weit entfernt von Moral und Verlässlichkeit, die es für das eingangs erwähnte, friedliche Zusammenleben jedoch dringend benötigt.

Deshalb lassen sie uns in Zukunft gut überlegen, ob wir nicht einfach mal tief durchatmen bevor wir im vorauseilenden Gehorsam allen Weltverbesserer:innen folgen.

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