"Die Energiekrise hat das Bewusstsein für energiesparende Kühlgeräte geschärft"

| Christoph Aufreiter 
| 17.09.2023

Liebherr Geschäftsführer Lucas Nerud verrät im LEADERSNET-Interview, wie man vom Produzenten von Turmdrehkranen zum Spezialist für Kühl- und Gefriergeräte wurde und inwiefern die aktuelle Energiekrise die Produktionsweise beeinflusst.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Nerud, Liebherr produzierte in Deutschland ursprünglich mobile Turmdrehkrane. Seit 1960 ist man in Österreich vertreten und nun als Spezialist für Kühl- und Gefriergeräte bzw. Hausgeräte etabliert. Wie kam es dazu?

Lucas Nerud: Der Firmengründer Hans Liebherr sah früh das Potenzial in der Herstellung und Vermarktung von Kühlgeräten und startete bereits 1954 mit einer eigenen Fertigung in Ochsenhausen, Baden-Württemberg. Das Werk wuchs in der Nachkriegszeit schnell zu beachtlicher Größe und hatte Ende der 70er Jahre das Problem, aufgrund der topografischen Lage in einer Talsenke nicht weiter expandieren zu können. Hans Liebherrs Unternehmensstrategie basierte schon früh auf dem Prinzip der Dezentralisierung. Zu dieser Zeit gab es bereits einige Werke anderer Sparten in Frankreich, der Schweiz und auch in Österreich. Der Fokus bei der Suche nach einem geeigneten Ort für ein neues Kühlschrank Werk lag auf der Peripherie, fernab von Ballungszentren. Der bisher verfolgten Strategie versprach er sich dort ein hohes Potenzial an loyalen Mitarbeitern aufgrund der geringeren, regionalen Arbeitgeber-Konkurrenz. Durch das Radlader-Werk Telfs war ihm Tirol und dessen damalige Landesregierung bereits bekannt und wurde er in Lienz fündig, eine Region, die erst wenige Jahre zuvor durch den Felbertauerntunnel verkehrstechnisch deutlich besser erschlossen worden ist. Die nach wie vor hohe, durchschnittliche Betriebszugehörigkeit der Mitarbeitenden in Lienz gibt ihm für seine damalige Entscheidung Recht. In diesem Umfeld war und ist es möglich, frühzeitig in Talente zu investieren und diese langfristig im Unternehmen zu halten.

LEADERSNET: Sie legen bei Ihren Gefrierlösungen großen Wert auf Energieeffizienz. Wie bewerkstelligen Sie das?

Nerud: Als Produzent in Hochlohnländern wie Österreich oder Deutschland ist es überlebensnotwendig, die Technologieführerschaft im angebotenen Produktsegment für sich zu reklamieren. Daher investiert Liebherr einen beachtlichen Teil des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. So war es durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Geräte aber auch durch den Erfindergeist mit bahnbrechenden, neuen Technologien bisher immer möglich, diese Position zu halten. War es früher noch die Entwicklung umweltfreundlicher Kältemittel zur Eliminierung des schädlichen FCKWs in alten Kühlgeräten, ist nun die Energieeffizienz einer der größten Schwerpunkte unserer Produktentwicklung. Dies ist doppelt gut, sowohl für unsere Kund:innen, die ihre Stromkosten deutlich senken können, aber auch für unsere Umwelt, da bedeutend weniger Ressourcen aufgewendet werden müssen, um Liebherr-Kühl- und Gefriergeräte zu betreiben. Diese Fokussierung leiten wir seit jeher von unseren Grundwerten des Unternehmens ab, denn dort finden sich Leitsätze wie "Wir tragen Verantwortung" oder "Wir sind innovativ".

Der Schlüssel für besonders energieeffiziente Gefriergeräte liegt einerseits in der kontinuierlichen Verbesserung des Kältekreislaufes und zum anderen in der bestmöglichen Isolation. Für Letztere konnten wir vor einem Jahr eine wirkliche und bahnbrechende Weltneuheit vorstellen. Bisher ist es üblich, die Isolation mittels Polyurethan-Schaum und teilweise in Verbindung mit integrierten Vakuum-Paneelen herzustellen. Mit der neu entwickelten "BluRoX"-Technologie werden wir diesen ölbasierten Isolationskörper langfristig ersetzten durch einen mit Steinmehl gefüllten Körper, der zur Isolation ein Vakuum zwischen den Partikeln nutzt. Neben der besonders guten Isolationsfähigkeit dieser Technologie verwenden wir dann mit Perlit ein 1:1 wiederverwendbares Naturprodukt, das aus Vulkangestein gewonnen wird und in großen Mengen global verfügbar ist.

Lucas Nerud© Liebherr

LEADERSNET: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Anforderungen von Gastronomie- und  Tourismusbetrieben in den letzten Jahren geändert haben?

Nerud: Es sind keine dramatischen Veränderungen zu spüren. Unsere Kund:innen schätzen nach wie vor die Qualität und Zuverlässigkeit unserer Produkte, die einfach funktionieren müssen. Unterstützt durch das vor drei Jahren eingeführte Energie-Label auch bei Gastrogeräten ist das Bewusstsein über die unterschiedlichen Effizienzen gewachsen und nationale Förderprogramme für die Beschaffung besonders energieeffizienter Geräte helfen zusätzlich, die "finanzielle Extrameile" zu gehen und ein besonders energiesparendes Gerät einzusetzen. Auch die Digitalisierung zieht immer mehr in der Gastronomie ein und hilft, notwendige Dokumentationen wie die Überwachung der Temperaturkette zu automatisieren. Liebherr bietet hierfür ein Monitoring System an, das dem Kund:innen die lästige, aber notwendige Arbeit abnimmt und ihm daher mehr Zeit für seine Passion – dem Kochen – lässt. In einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, ausreichend Personal zu finden, müssen die Prozesse in der Küche und auch der Umgang mit einem Kühlgerät ständig optimiert werden. Daher ist es unser Bestreben, die Bedürfnisse unserer Kund:innen genau zu kennen und dann entsprechende Lösungen, mit smarten Features zu entwickeln.

LEADERSNET: Was bieten Sie, neben gewerblichen, privaten Kund:innen?

Nerud: Liebherr ist Spezialist im Bereich für Kühllösungen im privaten und gewerblichen Bereich. Die Produktpalette für den Bereich Haushalt umfasst Kühl- und Gefriergeräte sowie Kombinationen als Stand- und Einbauvarianten, Gefriertruhen sowie Side-by-Side und auch exklusive Monolith Geräte. Für Weinliebhaber bieten wir sowohl Weinlager- als auch Weintemperierschränke und darüber hinaus umfasst unser Portfolio Humidore. Kühllösungen für den gewerblichen Einsatz umfassen die Segmente Medizin & Labor, Gastronomie & Hotellerie und den Bäckereibedarf sowie Getränkekühler, Geräte für den Lebensmitteleinzelhandel sowie Eiscremetruhen.

LEADERSNET: Wenn Sie auf ihre bisherige Zeit als Geschäftsführer zurückblicken, welche persönlichen Highlights stechen Ihnen besonders ins Auge?

Nerud: In der herausfordernden Zeit der Corona-Krise war es beeindruckend mitzuerleben, wie ein gut funktionierendes Team eng zusammensteht und auch bisher ungeahnte Aufgaben meistern kann. Unser Werk in Lienz musste kurzfristig die Produktion einstellen und wir haben es geschafft, alle notwendigen Maßnahmen schnellstmöglich zu ergreifen, dass wir dann mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen die Fertigung nach dreieinhalb Wochen wieder aufnehmen konnten. Ohne das entgegengebrachte Vertrauen der Belegschaft in die lokale Führung hätten wir die Fertigung nicht so schnell wieder aufnehmen können. Auch waren wir durch eine Rumpf-Mannschaft im Versand zu jeder Zeit handlungsfähig und konnten die Kund:innen aus unserem Lagerbestand bedienen. In die Zeit der Corona-Pandemie fiel auch das 40-jährige Jubiläum unseres Standorts. Mit leichter Verspätung konnten wir dann im vergangenen Jahr das lange geplante Familienfest endlich realisieren und es war im Kreise der Gesellschafter sowie der Familien unserer Mitarbeitenden ein wunderbares Gefühl, in so viele glückliche Gesichter zu schauen und nach den Entbehrungen der Pandemiejahre unsere Belegschaft für ihre Leistungen zu ehren und hochleben zu lassen.

LEADERSNET: Österreich und Europa sind aktuell von einer Energiekrise betroffen. Inwiefern beeinflusst diese Situation ihre Produktionsweise? Merken Sie ein verändertes Kund:innenverhalten beim Kauf?

Nerud: Die Auswirkungen der Energiekrise auf unser Unternehmen sind vielschichtig. Die massiv gestiegenen Energiekosten führten sowohl zu starken Preissteigerungen vieler Kaufteile, aber auch zu deutlichen Mehrkosten bei der verwendeten Primärenergie in unserem Werk. Vertriebsseitig hat die Energiekrise das Bewusstsein der Kund:innen für energiesparende Kühlgeräte weiter geschärft, was im Auftragseingang der hocheffizienten Modelle deutlich zu spüren war. Hierbei wurde nicht nur bei notwendigen Neuanschaffungen auf die Energieeffizienz geachtet, sondern es wurden auch gezielt alte Kühl- und Gefriergeräte aufgrund ihres hohen Verbrauchs ausgetauscht, obwohl sie ansonsten noch einwandfrei funktionierten. Auch im gewerblichen Umfeld ist dieser Trend nun viel deutlicher zu spüren.

LEADERSNET: Seit 2020 sind viele heimische Betriebe eigentlich durchgehend mit neuen Krisen konfrontiert. Was erwarten Sie für ihr Unternehmen in den nächsten fünf Jahren?

Nerud: Die Hausgeräte-Sparte erlebte insbesondere in der Corona-Zeit eine Sonderkonjunktur, die leider einherging mit den starken Verwerfungen im Beschaffungsmarkt. So hatten wir über eine längere Zeit den Umstand hoher Auftragsbestände bei gleichzeitig deutlich reduzierter Produktionskapazität. Insbesondere die Unplanbarkeit kurzfristiger Lücken in der Versorgung mit gewissen Bauteilen stellte ein großes Problem für uns dar. Beschaffungsseitig haben sich die Lieferströme mittlerweile wieder eingependelt und auch die herausfordernde Personalsituation ist dank so weit im Griff. Wir erleben aktuell eine deutliche Abschwächung der Bedarfe in verschiedenen Märkten. Dies ist einerseits als Konsequenz nach der erlebten Sonderkonjunktur zu bewerten, wird jedoch auch verstärkt durch die inflationsbedingt sinkende Kaufkraft und Verlagerung des Investitionsschwerpunkts unserer Kund:innen. Für die kommenden Jahre bleibt zu hoffen, dass sich die politische Lage global und insbesondere in Europa wieder stabilisiert. Nur so wird es möglich sein, wieder einigermaßen in eine planbare Phase zu kommen, in der Steuerungstools wie z.B. eine Fünfjahresplanung auch wieder an Relevanz gewinnen. Außerdem wird es eine adäquate Industriepolitik seitens der Regierung brauchen, um Produktionsstandorte wie den unseren auch langfristig in Österreich sichern zu können.

www.liebherr.com/at

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