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"Wir laufen Gefahr, diese Vorreiterstellung mutwillig abzugeben"

Die Autoindustrie steht inmitten ihrer bisher größten Transformation enorm unter Druck, was sich auch auf die heimische Wirtschaft auswirkt. Im Rahmen eines hochkarätigen Podiums mit Branchenexperten und der Europaministerin wurde nach Lösungswegen gesucht, wie Europa und Österreich in diesem Sektor wettbewerbsfähig bleiben können. Karoline Edtstadler ließ dabei mit einigen Aussagen aufhorchen.

Geht es nach Branchenvertreter:innen, dann steht die Automobilwirtschaft wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig im Spannungsfeld zwischen den Anstrengungen zur Dekarbonisierung und dem bestreben, Wohlstand durch starke Volkswirtschaften zu sichern – europaweit, wie auch hierzulande. Denn auch wenn wir nicht für große Automarken bekannt sind, gibt es in Österreich mehr als 350.000 Beschäftigte rund ums Auto. Viele heimische Zulieferer sind weltweit gefragt und führend, zuletzt zogen jedoch verstärkt dunkle Wolken auf. Aus unterschiedlichen EU-Ländern, Unternehmen und Vereinigungen waren in den letzten Wochen und Monaten alarmierende Meldungen zu vernehmen. 

Lösungswege für Wettbewerbsfähigkeit

Am Dienstagvormittag wurde im Haus der Industrie bei der Veranstaltung "Impulse der Automobilindustrie für ein wettbewerbsfähiges Europa" darüber diskutiert, welche Lösungswege es geben kann, welche europarechtlichen Voraussetzungen es braucht und welche Technologien die richtigen sind, um den unter Druck stehenden Automobilsektor so zu gestalten, dass er weiterhin für Wohlstand in unseren Breiten sorgen kann. Teilnehmer:innen des Podiums waren Europaministerin Karoline Edtstadler, Günter Kerle, Vorsitzender des Verbands der Automobilimporteure in der Industriellenvereinigung (IV), Karl-Heinz Rauscher, Obmann des Fachverbands der Fahrzeugindustrie der Wirtschaftskammer und Josef Honeder, Entwicklungsleiter des BMW Group Standortes Steyr. Moderiert wurde die Veranstaltung von Christian Pesau vom Verband der Fahrzeughersteller in der Industriellenvereinigung.

Begrüßt wurden die Diskutant:innen und Gäste von IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, der sagte: "Wichtig dabei sind eine technologieoffene Forschung und Entwicklung, um Innovationen sicherzustellen und den Standort zu stärken. Die größten Herausforderungen für die Automobilindustrie sind strenge Klimaschutzziele der EU auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Dabei braucht es Rahmenbedingungen und Raum für alle alternativen Antriebsformen."

Ein gemeinsames Ziel war am Podium schnell gefunden: ein wettbewerbsfähiges Europa sichern. Einigkeit herrschte darüber, dass unterschiedliche Technologien nötig sein werden, um wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren, wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig die Dekarbonisierung der Mobilität voranzutreiben. Auch Wasserstoff im PKW sahen die drei Branchenvertreter dabei als Teil der Lösung.

Edtstadler untermauert Nein zu Verbrenner-Aus

Bei der Diskussion standen die europarechtlichen Rahmenbedingungen für Schlüsselindustrien besonders im Fokus. Deshalb übernahm auch Edtstadler als erste das Wort. Die Europaministerin war erst vor Kurzem im BMW Werk in Steyr zu Gast und sprach sich dort für Technologieoffenheit und gegen ein Verbrennerverbot aus (LEADERSNET berichtete). Am Dienstag hat sie das noch einmal untermauert. "Wir brauchen tatsächlich Technologieoffenheit und ein Verbrenner-Aus ist der falsche Weg", so Edtstadler. Dabei verwies sie auch darauf, dass das für 2035 beschlossene Verbot für den Verkauf von Verbrennerautos in der EU noch nicht in Stein gemeißelt sei und 2026 noch einmal evaluiert werde. 

Maßnahmen gegen Wettbewerbsverzerrung

Zudem betonte die Bundesministerin, dass Europa nicht länger Weltmeister der Bürokratie und Überregulierung bleiben dürfe, sondern Champion der Wertschöpfung und Innovation werden müsse. "Die österreichische Automobilindustrie stellt eindrucksvoll unter Beweis, wie ein nachhaltiger Transformationsprozess gemeinsam mit der Innovationskraft von Unternehmen gelingen kann. Dabei ist die Offenheit gegenüber allen Technologien wichtig, um im Wettbewerb der besten Ideen die beste Lösung zu finden", so Edtstadler. Dafür brauche es aber auch faire Verhältnisse. Auf die Frage, ob man sich in der Europäischen Union Maßnahmen wie Strafzölle auf staatlich subventionierte E-Autos aus China vorstellen könne, sagte Edtstadler: "Wenn in Drittstaaten tatsächlich wettbewerbsverzerrende Maßnahmen gesetzt werden, sollte darauf auch reagiert werden. Aber in einer Art und Weise, dass man den oder die Handelspartner nicht dermaßen vergrämt, dass keine Zusammenarbeit mehr möglich ist." Hier müsse man also mit Fingerspitzengefühl, aber auch mit Klarheit dagegen vorgehen. Welche Maßnahmen das letztendlich sein werden, lasse sich jetzt noch nicht sagen. Abschottung werde nicht funktionieren, aber sich nicht zu wehren auch nicht.

Überregulierung abbauen

Laut der Ministerin dürfe es keine Denkverbote geben, um die Klimaziele zu erreichen. Alles daran zusetzen, die Vorgaben einzuhalten, aber dabei die Wirtschaft gegen die Wand zu fahren, sei jedenfalls keine Lösung. Europa müsse Innovation und seine Stärken fördern. Dazu müsse auch bei der Regulierung eine Kehrtwende eingeschlagen werden. Hier wolle man in den nächsten Jahren 25 Prozent der Regulatorien abbauen, um den europäischen Unternehmen innovatives Handeln zu ermöglichen. Im Automobilsektor habe man sich da über Jahrzehnte eine Vorsprung aufgebaut. "Wir laufen Gefahr, diese Vorreiterstellung mutwillig abzugeben", so Edstadler.

"Österreich ist ein Autoland"

Günter Kerle übernahm nach der Ministerin das Wort. Laut ihm dürfe Österreich zurecht als Autoland bezeichnet werden. "Mehr als 350.000 Beschäftigte rund ums Auto zeigen, wie wichtig dieser Sektor für Beschäftigung und Wohlstand in Österreich ist. Die österreichische Automobilwirtschaft steht für 18 Milliarden Euro direkte bzw. 30 Milliarden Euro totale Bruttowertschöpfung und der Beitrag zur Bruttowertschöpfung in Österreich liegt bei 8,4 Prozent total, der fiskalische Beitrag liegt bei mehr als 23 Milliarden Euro", so der Vorsitzende des Verbands der Automobilimporteure.

Österreichs Politik müsse dem gerecht werden und die richtigen Rahmenbedingungen für die Transformationsphase schaffen. Elektrifizierung, Vernetzung und automatisiertes Fahren seien die Schlagwörter der Zukunft in der Automobilindustrie. Wichtig seien Kerle zufolge dabei eine technologieoffene Forschung und Entwicklung, um Innovationen sicherzustellen und den Standort zu stärken. Alle Hersteller setzten auf elektrifizierte Antriebe und würden immer mehr Zero Emissionen-Fahrzeuge auf die Straße bringen, um die strengen CO2-Vorgaben der EU zu erfüllen. Kerle: "Uns ist aber auch wichtig, andere alternative Antriebsformen wie z. B. Wasserstoff nicht zu vergessen. Wasserstoff kann zusätzlich zur Elektromobilität eine sinnvolle Alternative bei der Dekarbonisierung sein. Vergleichsweise große Reichweiten, eine kürzere Betankungsdauer sowie witterungsunabhängiger Betrieb ohne CO2- und Schadstoffemissionen sind unbestrittene Vorteile."

Karl-Heinz Rauscher verwies auf die Notwendigkeit von finanziellen Unterstützungsmaßnahmen, wie es sie etwa vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) gibt.  "Die Transformationsoffensive des BMAW für die österreichische Fahrzeugindustrie wird gut angenommen und hilft unseren Betrieben, sich auf neue Entwicklungen und Anforderungen einzustellen. Daher fordern wir von der Bundesregierung, dass dieses Programm um weitere vier Jahre sohin bis 2030 verlängert und wieder mit mindestens 600 Millionen Euro dotiert wird. So wird es der Fahrzeugindustrie ermöglicht, weiterhin attraktive, gut entlohnte und sichere Arbeitsplätze in Österreich anzubieten", so der Obmann des Fachverbands der Fahrzeugindustrie der Wirtschaftskammer Österreich.

Bedeutung des BMW-Werks in Steyr

Josef Honeder zeigte u.a. in welchen Bereichen BMW aktuell forscht, um die von der EU vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Der Entwicklungs- und Produktionsstandort in Steyr nehme für den deutschen Autobauer, der sich seit Jahren für Technologieoffenheit starkmacht, dabei die zentrale Rolle ein. 

"Für die Zukunft des Individualverkehrs werden unterschiedliche Technologien nötig sein, um wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren, wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig die Dekarbonisierung der Mobilität voranzutreiben. Die BMW Group setzt dabei auf die kontinuierliche Verbesserung unserer Verbrennungsantriebe und den Aufbau von Elektromobilität. Daneben sind wir davon überzeugt, dass Wasserstoff bei der Technologiewende eine wichtige Rolle spielen und erheblich zur CO2-Reduktion im Individualverkehr beitragen kann. Wasserstoff als Energieträger wird in vielen Weltregionen eine wichtige Rolle spielen. Eine flächendeckende Verfügbarkeit von H2-Tankstellen ist aus unserer Sicht jedoch eine wichtige Voraussetzung für ein Kundenangebot", so der Entwicklungsleiter des BMW Group Standortes Steyr.

Wie Technologieoffenheit und erfolgreiche Transformation funktionieren kann, mache der Standort Steyr vor. Hier werden – weltweit einzigartig bei der BMW Group – Forschung und Produktion an einem Standort betrieben. Von den über 4.700 Beschäftigten seien rund 700 in der Antriebsentwicklung tätig. Honeder verweist auch auf die hohen Investitionen: "Alleine im letzten Jahr wurden 356 Millionen Euro in die Transformation des Standorts investiert. Seit Werksgründung 1979 hat die BMW Group pro Arbeitstag eine Million Euro in Steyr investiert."

Wasserstofftankstellen

Auf die Frage wie lange es dauern werde, bis sich Wasserstofffahrzeuge durchsetzen werden, sagten Kerle, Honeder und Rauscher, dass das einzig und alleine von der Infrastruktur abhänge. Aktuell gibt es in Österreich gerade einmal fünf Wasserstofftankstellen, was es Interessent:innen - neben der derzeit bescheidenen Auswahl von am Markt verfügbaren Fahrzeugen (Toyota Mirai und Hyundai Nexo) - natürlich extrem schwer mache, sich für einen Kauf zu entscheiden. Die Branchenvertreter sind jedoch überzeugt, dass die Infrastruktur in Zukunft stark ausgebaut werden wird - getrieben von H2-Lkw und -Bussen. Denn im Schwerverkehr auf langen Strecken werden sich Elektro-Nutzfahrzeuge nicht durchsetzen. Und sobald die Tankstellen einmal verfügbar sind, werden auch die Autobauer passende Brennstoffzellenfahrzeuge liefern. Auch hier dürften dann vor allem große Modelle, die auf langen Strecken bewegt werden, dominieren. BMW hat aktuell den iX5 Hydrogen im Pilotversuch (LEADERSNET berichtete).

LEADERSNET war bei der Pressekonferenz. Einen Eindruck können Sie sich hier machen.

www.iv.at

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