Migration: Dauerbrenner und heißes Eisen

| Redaktion 
| 01.10.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

51 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, dass die Themen Asyl und Zuwanderung aktuell zu den drängendsten Problemen gehören. Dies ist in Österreich nicht anders. Probleme, die gelöst werden müssen, doch wie, darüber scheiden sich die Geister. Und es drängt, alleine im September spricht man in Deutschland von 20.000 illegalen Migrant:innen, die vorrangig über Polen und Tschechien ins Land kommen. Sich mit den Themen Asyl, gesteuerter Zuwanderung oder illegaler Migration auseinanderzusetzen ist heikel und man läuft Gefahr, in die Schublade mit der Aufschrift "fremdenfeindlich" gesteckt zu werden. Deshalb will ich, wie meine geneigten Leser:innen dies von mir gewohnt sind, eine differenzierte und faktenbasierte Auseinandersetzung und eine Orientierung im Dickicht der unterschiedlichen Begriffe und Lösungsversuche geben. Lassen Sie mich mit den verschiedenen Begrifflichkeiten beginnen.

Asyl und gesteuerte Zuwanderung

Asyl und gesteuerte Zuwanderung sind zwei gänzlich unterschiedliche Dinge. Von einer gesteuerten Zuwanderung sprechen wir, wenn ein Staat die Kriterien festlegt, unter denen sich Menschen aus einem anderen Land vorübergehend oder dauerhaft am Zuzugsort bzw. dem Zuzugsland niederlassen können. Dass eine gesteuerte Zuwanderung für den Arbeitsmarkt sowohl in Deutschland als auch in Österreich notwendig ist, ist meines Erachtens mittlerweile unumstritten. In fast allen Bereichen von Pflege über Tourismus bis zur Industrie brauchen wir Fachkräfte, die wir ohne gesteuerte Zuwanderung nicht mehr besetzen können. Deshalb ist die große Frage, welche Grundvoraussetzungen und Anreize in Deutschland und Österreich geschaffen werden müssen, um die richtigen Menschen zu erreichen und den Aufenthalt und die Arbeit neben vielen Wettbewerbern wie Australien, USA, Kanada, Frankreich etc. attraktiv zu machen. Österreich und Deutschland haben in dieser Hinsicht noch viel Luft nach oben, zudem bedarf es sicherlich auch einer besseren und vor allem einheitlichen und koordinierten Integrationspolitik mit Sprachkursen und vielen anderen Hilfestellungen für die Fachkräfte und deren Familien.

Spricht man von Asyl – oder besser Asylrecht –, so geht es um Flüchtlinge, denen aufgrund einer politischen oder religiösen Verfolgung in ihrem Heimatland in einem anderen Land Schutz (Asyl) gewährt wird. Dies geschieht meist nicht automatisch, sondern erst infolge einer Prüfung. Solch rechtliche Regelungen finden sich in den Verfassungen der meisten EU-Staaten, auch die EU selbst verfügt über solch eine Regelung. Die damit verbundenen Probleme sind nicht neu, und ich selbst habe bereits in den 1980er Jahren in meiner Geburts- und Heimatstadt Tübingen Kasernen voller afghanischer Flüchtlinge erlebt.

Grundprobleme des Asylrechts

Welche Grundprobleme bringt nun dieses Asylrecht mit sich? Es ist eine Tatsache, dass circa 80 bis 95 Prozent aller Asylverfahren am Ende negativ beschieden werden, denn bei den meisten Flüchtlingen, insbesondere jenen der letzten sieben Jahre, handelt es sich um junge männliche "Wirtschaftsflüchtlinge", die weder politisch noch religiös verfolgt werden, und somit nicht dem besonderen Schutz durch das Asylrecht unterliegen. Darüber hinaus gibt es schon viele Fluchtländer, von denen von vorneherein bekannt ist, dass hier eigentlich kein Fluchtgrund bestehen kann. Abgesehen von der viel zu langen Verfahrensdauer, meist über Jahre, gibt es keine vernünftige Lösung, wie mit diesen abgewiesenen Asylbewerber:innen dann umzugehen ist. Sie – sehr überspitzt formuliert – per Fallschirm über ihrem Herkunftsland aus dem Flugzeug abspringen zu lassen, ist wohl keine Option. Die meisten Länder weigern sich aber, ihre abgewiesenen Bürger:innen wieder zurückzunehmen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Ich sage es gerade heraus: Diese Heimatländer müssen ihre Staatsangehörigen wieder aufnehmen. Genau hier muss angesetzt werden, etwa durch positive – auch monetäre – Vereinbarungen, aufgrund derer Fluchtländer Flüchtlinge bzw. jene, die aus dem betreffenden Land gekommen sind, wieder zurücknehmen. Sollte dies nicht möglich sein, muss diplomatischer, wirtschaftlicher bzw. politischer Druck ausgeübt werden. Dazu kommt, dass Länder, die Flüchtlinge durch ihr Land in die EU weiterreisen lassen – z. B: Tunesien –, diese auch wieder aufnehmen müssten. Darüber hinaus müssen endlich die Asylverfahren verkürzt werden, was ginge, würden die Instanzenwege verkürzt. Da all dies in den letzten Jahren verabsäumt wurde und eine Implementierung lange Zeit in Anspruch nimmt, sollte jedenfalls darüber nachgedacht werden, ob nicht kurzfristig Anträge auf Verfahren nicht schon im Flucht- oder Durchgangsland erfolgen müssen.

In Hinblick auf die Frage der EU und ihrer Grenzkontrollen muss man attestieren, dass sowohl die EU selbst als auch ihre einzelnen Mitgliedstaaten versagt haben. Was soll die EU-Truppe Frontex denn mehr tun können als die nationalen Grenzbehörden, ohne mit den nötigen Befugnissen ausgestattet zu sein?

Auch gegenseitige Schuldzuweisungen, etwa, dass Polen gar keine Flüchtlinge aufnehmen und alles blockieren würde, sind erstens falsch und helfen zweitens nicht. Polen hat mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen als Italien Flüchtlinge insgesamt. Der EU bzw. den Mitgliedstaaten muss ermöglicht werden, ihre Grenzen effektiv zu schützen und auch Flüchtlinge legal zurückzuweisen, was sich durch einen anderen Weg der Asylantragsstellung erwirken ließe. Dies ist vor allem wichtig für diejenigen, die tatsächlich Asyl benötigen, und die wir auch integrieren müssen. Es ist unbestritten, dass die Massen an Flüchtlingen zu einem Unwohlsein innerhalb der Bevölkerung führt, was es auch Zuwandernden und Asylsuchenden erschwert, akzeptiert zu werden. Dazu mehren sich, wie zuletzt vom deutschen Alt-Bundespräsidenten Gauck, und wie ich meine zu Recht, die Rufe nach effektiven Obergrenzen, zumindest über einen Zeitraum. Ja, das würde eine Einschränkung des Asylrechts bedeuten, aber nur so lange, bis beispielsweise die oben beschriebenen Maßnahmen Wirkung zeigen. Darüber hinaus müssen die Schleuserbanden effektiv und mit aller, auch militärischer, Härte verfolgt und bekämpft werden.

"Weiter wie bisher" wird nicht möglich sein

Mir ist klar, dies alles sind Lösungen, die nicht alle zufriedenstellen können und die vielleicht kurzfristig Asylungerechtigkeiten zur Folge haben können – ja! Aber ein "weiter wie bisher" wird nicht möglich sein. Wir müssen zum Schutz unserer Länder jetzt in das Asylrecht eingreifen und es in geordnete Bahnen lenken, um die eigene Bevölkerung als auch die Grundwerte – zu denen das Asylrecht dazugehört – vor Bedrohungen zu schützen. Nur dann, wenn die Bevölkerung Asylmaßnahmen akzeptiert, werden wir das Asylrecht retten können. Dazu müssen wir vielleicht auch neue Wege gehen und vor allem ihre Wirksamkeit abwägen. In Deutschland wird aktuell etwa darüber diskutiert, illegal Eingewanderten kein Geld, sondern nur noch Sachleistungen zu gewähren, Abschiebezentren einzurichten etc.

In welche Richtung die Lösungen auch gehen mögen, im Sinne des Gemeinwohls sollten wir jedenfalls danach trachten, die Themen Zuwanderung und Asyl so frei von Emotionen wie möglich zu betrachten, denn hitzig wegdiskutieren lassen sie sich in keinem Fall.

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