Freiwilligenarbeit als kritischer Faktor – Überlegungen zu einer Art Dienstpflicht

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.  

Wie ich unlängst schon positiv angemerkt habe – und dafür können wir wirklich dankbar sein – ist, dass die Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Ukraine in vollem Gange ist. Es wird alles getan und versucht, um jene nicht im Regen stehen zu lassen, die Hilfe jetzt am Allernötigsten brauchen. Zu verdanken haben wir dies allem voran Menschen, denen ehrenamtliches Engagement nicht nur ein Anliegen ist, sondern die dieses als moralische und gesellschaftliche Verpflichtung sehen. Aber wie passt das zusammen – Freiwilligkeit und Verpflichtung?

Ganz gut, meine ich, aber ich bin auch mit dem Leitspruch groß geworden: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!“ Aus einem wachsenden Egoismus heraus ist es aber immer schicker geworden, Kante zu zeigen, die Ellbogen auszufahren, zu schauen, dass man nicht zu kurz kommt und, und, und. Das hat der ehrenamtlichen bzw. Freiwilligen-Arbeit und auch der Einstellung solchen Tätigkeiten gegenüber gar nicht gutgetan. Die beiden vergangenen Jahre haben aber gezeigt – und der Kriegsbeginn in der Ukraine hat es noch verdeutlicht – wie nötig das Ehrenamt gebraucht wird!

Strukturen, die das Gemeinschaftsgefühl stärken

Deutschland und Österreich haben im Grunde genommen ein solides Netz an freiwilligen Organisationen, alleine wenn man z. B. die Feuerwehren ansieht. Gerade im ländlichen Bereich herrschen hier Strukturen vor, die insbesondere auch das Gemeinschaftsgefühl stärken. Es gibt – außer vielleicht Teamsport – nicht viele Bereiche, in denen das WIR über dem ICH steht, und das ist so erschreckend wie schade. Schade vor allem, dass sich eben über die vergangenen 30 Jahre der vorhin beschriebene Wertewandel in Richtung Egoismus Bahn gebrochen hat. Es wäre wünschenswert, dass vor allem junge Menschen wieder einen anderen Zugang finden zu so wichtigen Themen wie Pflicht und Verbundenheit.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte ausdrücklich betonen, wie toll es ist, dass sich so viele Menschen immer wieder spontan zusammenfinden, um freiwillig Hilfe zu leisten! Was ich hoffe ist, dass sie gerade in der jetzigen Situation der Pandemie und der Kriegskrise umso bessere Vorbilder für jene sind, denen diese Verhaltensweisen nicht so geläufig sind. Leider – so scheint es mir – gibt es aber immer mehr Bürger/innen, die die Wohltaten des Staates sehr gerne nehmen, denen aber nichts daran liegt dem Staat, d.h. der Gemeinschaft, etwas zurückzugeben. Darüber hinaus scheint mir dabei aber vor allem auch ein gemeinsames WIR-Gefühl verlorengegangen zu sein. Mein Wunsch ist sozusagen, dass noch viele die herausfordernden Umstände vielleicht sogar als Anlass nehmen, sich einer Freiwilligenorganisation anzuschließen und dadurch eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe zu gewinnen. Sehr optimistisch bin ich in dieser Hinsicht allerdings nicht.

Pflicht- und Lastenverteilung

Im Sinne einer gerechten Pflichten- und Lasten-Verteilung dürfen wir es, glaube ich, bei der Freiwilligkeit nicht belassen. Als Alternative müsste man über eine generelle Dienstpflicht, also eine militärische oder zivile und für alle Bürger/innen verpflichtende Zeit reden. Ich selbst war fast zwei Jahre beim Militär mit allen „Ups and Downs“. Dies scheint mir vielleicht zu lange, aber eine generelle Dienstpflicht von einem Jahr als Beitrag für die Gemeinschaft sollte eine Überlegung wert sein. Ich glaube, ein Jahr in einer zivilen Organisation oder ein Jahr Wehrdienst ist etwas, das jede/r für die Gemeinschaft und für den Staat leisten kann.

Ich bin dabei auch der festen Überzeugung, dass ehrenamtliche Arbeit, eine gemeinsame Dienstzeit und das Eingebettet sein in eine Gemeinschaft nicht nur die Persönlichkeit stärkt, sondern das Leben in vielerlei Hinsicht bereichern kann. Man lernt wieder Werte wie Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft oder einfach „nur“ den taktvollen oder einfühlsamen Umgang mit den Mitmenschen – und das brauchen wir jetzt alle mehr als dringend.

Deshalb lassen Sie uns wieder mehr nach dem Motto handeln „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!“

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