Gibt es die Spaltung in unserer Gesellschaft? Haben wir alle Sicherheiten verloren?

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Sind Sie auch der Meinung, dass ungeimpfte Mitbürger:innen verantwortungslos sind und schuld an der Heftigkeit der 4. Welle? Oder gehören Sie zu denen, die größte Bedenken haben, sich impfen zu lassen, weil man ja nie weiß, welche Spätfolgen das haben könnte? Genau zwischen diesen beiden Polen verläuft derzeit eine Linie quer durch unsere Gesellschaft. Man könnte sie schon fast "Frontlinie" nennen, denn in den vergangenen Wochen hat die gegenseitige Aggression beängstigend zugenommen. Wenn die "Querdenker" schreiend Schulter an Schulter mit Rechtsextremen über den Ring marschieren. Wenn Familien zerbrechen und Menschen wegen ihres Impfstatus ihre Jobs verlieren. Wenn halbstudierte Oppositionspolitiker Pferdeentwurmungsmittel „verordnen" und es wirklich eingenommen wird, nur um "denen da oben" zu zeigen, dass man sicher nicht das machen wird, was sie von einem wollen. Dann sind wir mitten in Österreich anno 2021.

Politischer Kuhhandel?

 

Die Corona-Pandemie hat tiefe Wunden hinterlassen – nicht nur bei unseren Kindern, die viele Monate der Isolation von Freund:innen und Lehrer:innen hinter sich haben. Es sind die Wunden der Ohnmacht, der Existenzangst, der völligen Unplanbarkeit unserer Leben. Nichts ist mehr verlässlich, alles in Bewegung und nie geht es in die richtige Richtung. Als Vertreter einer Branche, die strengsten gesetzlichen Regelungen unterliegt, ist es meine Aufgabe, von der Politik Planbarkeit und Rechtssicherheit zu fordern. Nur dann sind Regeln auch einhaltbar. Nur dann funktioniert das verantwortungsvolle Miteinander. Genau diese Sicherheit ist verloren gegangen. Verordnungen kommen immer zu spät und strotzen vor Fehlern, Entscheidungen sehen eher nach politischem Kuhhandel denn nach faktenbasierten Kurssetzungen aus. Was heute gilt, ist morgen Blödsinn. Und übermorgen doch von uns verlangt.

Wenn man sich fragt, was in den fast zwei Jahren, in denen das Virus unser Leben terrorisiert, falsch gelaufen ist, dann ist es wohl am ehesten ein fehlendes Augenmaß im Umgang mit den vielfältigen Lebensrealitäten. Die Politik hat für sich beansprucht, die Pandemie nicht nur zu bewältigen, sondern sie auch noch zu erklären. Als sichtbare Krisenmanager Profil zu zeigen. Das wäre prinzipiell ein guter Zugang gewesen, hätte man dabei erkannt, dass die Glaubwürdigkeit der Politik ein sehr feines Tuch ist, das leicht reißt. Und dass es beim Corona-Virus und seiner Bekämpfung beinahe stündlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die darauf basierende politische Entscheidungen ad absurdum führen.

Letztlich wirkt das Handeln und Kommunizieren der Regierungen fast überall auf der Welt wie Reifenwechseln in voller Fahrt. Das schaffte den Raum, in dem Verschwörungstheorien und Agitatoren ihr Plätzchen fanden. Krause Geschichten machen seitdem die Runde und man könnte sie leicht als Hirngespinste von Psychopathen abtun, wäre es nicht auch der verzweifelte Versuch, an etwas glauben zu können. Sicherheit zu bekommen. Schuld zuweisen zu können.

Ein gemeinsames Ziel

Jetzt also stehen einander die Geimpften und die Ungeimpften gegenüber, flegeln sich an und reklamieren die einzige Wahrheit für sich. Am Spielfeldrand die globale Politik, die inzwischen dem epidemiologischen Wahnsinn und auch den gesellschaftlichen Strömungen hechelnd hinterherrennt. Wie man diese Patt-Situation auflösen könnte fragen Sie sich? Tja, letztlich tragen wir wohl alle selbst ein Stückchen Verantwortung für das, was aus unserer Gemeinschaft wird, wie wir miteinander umgehen. Und wie resistent wir sind gegenüber den populistischen Hetzern, die unsere Verletzlichkeit eiskalt ausnützen, um uns ihren Virus auch noch ins Hirn zu pflanzen. Lassen sie uns wieder zu evidenzbasierten Diskussion zurückfinden und starten mit der Definition eines gemeinsamen Zieles: Wir wollen alle wieder ein normales Leben führen. Wir wollen nicht nur das Corona-Virus bekämpfen, sondern auch das Virus der Ausgrenzung, der Aggression und letztlich des Extremismus.

Wenn ich eines aus der 237-jährigen Geschichte unseres Großunternehmens gelernt habe, dann ist es, dass ein guter Erfolg mit der gemeinsamen Zieldefinition startet. Auch wenn die Zeiten diesmal speziell schwierig erscheinen und man schnell zornig wird bei manchen Aussagen von Mitmenschen – lassen wir uns nicht anstecken und verlieren wir nicht aus den Augen, wer unser wirklicher Feind ist. Es ist am Ende ein klitzekleines Virus, gegen das wir eigentlich schon einige treffsichere Waffen in der Hand hätten.

Lassen Sie uns deshalb dieses gemeinsame Ziel angehen, evidenzbasiert diskutieren und handeln. Gelingt uns dies, werden wir auch jegliche Spaltung verhindern und das Virus besiegen.

www.jti.com


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

Entgeltliche Einschaltung

 

leadersnet.TV