Eine steigende Flut hebt nicht alle Boote an

Gastkommentar von Franz Weis, Portfoliomanager des Comgest Growth Europe, über krisenfeste europäische Aktien aus Branchen, für die COVID-19 als Turbo gewirkt hat.

Im Zuge der COVID-19-Pandemie blieben weltweit Flugzeuge am Boden, Gaststätten und Lokale wurden geschlossen und ganze Lieferketten waren für mehrere Monate unterbrochen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung erlebte einen Lockdown und es ist zu erwarten, dass das Jahr 2020 den stärksten Konjunktureinbruch in Friedenszeiten markieren wird. Dies hatte auch Auswirkungen auf Comgest: Noch nie in der 30-jährigen Geschichte unseres Aktienmanagements wurde unser auf Qualitätswachstum basierender Anlagestil derart geprüft.

Die Comgest-Portfoliomanager haben umgehend "Stress-Tests" durchgeführt: Erstens wurde die Nettoliquidität in den Bilanzen überprüft, um sicherzustellen, dass selbst eine anhaltende Krise bewältigt werden kann. Zweitens wurde der Fokus auf die möglichen langfristigen Folgen für die einzelnen Unternehmen gelegt. Krisenfeste Titel findet man vor allem in strukturell wachsenden Märkten, wie der Technologie- und Gesundheitsbranche. Hier hat die Pandemie sogar als Turbo für bestehende Trends gewirkt. So hat etwa die eCommerce-Penetration in sechs Monaten eine Entwicklung geschafft, für die vorher fünf Jahre nötig waren. 

Megatrend Healthcare

Das Gesundheitswesen ist ein Bereich, der selbst in einer Rezession gut abschneidet. Bei den US-Gesundheitsausgaben hat es seit dem Jahr 1970 ein beständiges Wachstum gegeben. Healthcare ist ein Megatrend, der von einer stetig alternden Bevölkerung getrieben wird. Ein struktureller Rückgang der Ausgaben ist gerade angesichts der aktuellen Pandemie sehr unwahrscheinlich.

Das kommt Unternehmen wie Ambu, Roche oder Novo Nordisk zugute. Ambu produziert Einwegendoskope – Produkte, die dazu beitragen, Ansteckungen etwa durch Covid-19-Infizierte weitgehend zu vermeiden – und Beatmungsmasken, die während der COVID-19-Krise außerordentlichen Absatz fanden. Roche ist das weltweit führende Unternehmen für biologische Arzneimittel zur Krebsbehandlung, was eine entsprechende Preissetzungsmacht mit sich bringt, und das dänische Pharma-Unternehmen Novo Nordisk ist für seine marktführende Diabetes-Behandlung bekannt.

Nicht immer fängt der frühe Vogel den Wurm

Eine steigende Flut hebt jedoch nicht alle Boote an. Der medizinische Forschungsbereich ist teuer und laut aktuellen Studien schafft es nur eines von 10.000 Medikamenten im Entwicklungsstadium auf den Markt. So entwickelte der französische Pharmakonzern Sanofi beispielsweise den hochwirksamen Insulin-Stoff Lantus, der sich zu einem Multimilliarden-Dollar-Medikament etablierte. Doch auch Novo Nordisk brachte einen gleichwertigen Insulin-Stoff auf den Markt, der die Marktführerschaft übernahm.

In einer Branche, in der es eigentlich ausschlaggebend ist, First Mover zu sein, verlor Sanofi an Boden, wobei der mangelnde Produktfokus die Tür für den Wettbewerb öffnete. Während sich der Umsatz von Novo Nordisk seit dem Jahr 2000 versiebenfacht hat und sich das Unternehmen als Diabetes-Spezialist etablieren konnte, hat Sanofi im vergangenen Jahr bekanntgegeben, sich vollständig aus der Diabetes-Forschung zurückziehen zu wollen.

Wiederkehrende Erträge als Schutzschild

Als zweiter großen Wachstumsbereich gilt die Technologiebranche. Unabhängig von aktuellen Entwicklungen beschleunigen sich der technologische Fortschritt und die Digitalisierung. Auch hier hat COVID-19 als Beschleuniger gewirkt. Der dramatische Anstieg von eCommerce-Umsätzen führt zu einem massiven Anstieg von Investitionen in die digitale Infrastruktur von Einzelhandelsunternehmen. Als Beispiel kann die spanische Inditex genannt werden, die knapp 40 Prozent ihrer Investitionsausgaben über die kommenden Jahre hinweg in diesen Bereich investiert.

Der Digitalisierungsschub kommt aber auch Unternehmen wie ASML und Adyen zugute. ASML ist ein Anbieter von Lithographie-Ausrüstung für die großen Giganten wie TSMC und Samsung in der Halbleiterindustrie, wo die Ausgaben für digitale Infrastruktur und Datenbanken zum wichtigen Wachstumstreiber geworden ist. Die Ausgaben für die Halbleiterausrüstung schießen generell in die Höhe – man muss dazu nur an die enormen Summen denken, die zum Beispiel für Rechenzentren ausgegeben werden, um Streaming-Dienste wie Netflix zu ermöglichen, oder auch für eCommerce-Plattformen wie Amazon.

Der Zahlungsabwickler Adyen gewinnt etwa jedes Mal, wenn eine Zahlung online getätigt wird. Generell nehmen stationäre Käufe immer mehr ab, was das strukturelle Wachstum von 15 Prozent pro Jahr für Online-Zahlungen erklärt. Zudem ist Adyen führend bei "Blue-Chip"-Klienten wie Uber, Netflix und Spotify – immer, wenn dort Geld fließt, verdient Adyen mit. Durch die Pandemie hat der Bargeldverkehr massiv gelitten, zugunsten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, und damit das ohnehin dynamische Wachstum von Fintech-Unternehmen wie Adyen beschleunigt. 

Schwierige Zukunftsprognose

Zukunftsprognosen sind schwierig: Auf der einen Seite könnte eine zweite Welle eine anhaltende wirtschaftliche Rezession auslösen, die durch die Rücknahme staatlicher Hilfsprogramme und einer beeinträchtigen Nachfrage noch verstärkt wird. Auf der anderen Seite könnte das Ausbleiben einer zweiten Welle, ein Impfstoff, sowie eine starke Erholung des Konsums zu einer unerwartet schnellen Rückkehr des Wirtschaftswachstums führen.

Je nach Szenario könnte der Ausblick für die Unternehmensgewinne kaum unterschiedlicher ausfallen. Allerdings wurden die Positionen im Portfolio genau aufgrund ihres "Airbags" gegenüber Makro-Ereignissen ausgewählt – ob durch den defensiven Charakter ihrer Endmärkte, wie im Gesundheitswesen, oder durch ihre periodisch wiederkehrenden Erträge, wie im Technologie-Bereich. In beiden Fällen hat sich COVID-19 als Turbo erwiesen. Die angekündigten Investitionen in digitale Infrastruktur sind Zweitrundeneffekte mit hoher Halbwertszeit, die Investoren in den kommenden Jahren noch viel Freude bereiten werden.

www.comgest.com


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Über Comgest

Comgest ist eine internationale Boutique für Investments in Aktien der Industrie- und Schwellenländer. Sie ist zu 100 Prozent im Besitz der Mitarbeiter und Firmengründer.

Mit Büros in Europa, Asien und Nordamerika verwaltet Comgest ein Vermögen von 33 Milliarden Euro (Stand der Daten 31. Dezember 2019) und betreut Anleger rund um den Globus, die ein auf Langfristigkeit abzielendes Aktieninvestment anstreben.

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